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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Gesetzgebung gelten könnte.« – Dieses Princip giebt Dem, welcher ein Regulativ für seinen eigenen Willen verlangt, die Aufgabe gar eines für den Willen Aller zu suchen. – Dann fragt sich, wie ein solches zu finden sei. Offenbar soll ich, um die Regel meines Verhaltens aufzufinden, nicht mich allein berücksichtigen, sondern die Gesammtheit aller Individuen. Alsdann wird, statt meines eigenen Wohlseins, das Wohlseyn Aller, ohne Unterschied, mein Zweck. Derselbe bleibt aber noch immer Wohlseyn. Ich finde sodann, daß Alle sich nur so gleich wohl befinden können, wenn Jeder seinem Egoismus den fremden zur Schranke setzt. Hieraus folgt freilich, daß ich Niemanden beeinträchtigen soll, weil, indem dies Princip als allgemein angenommen wird, auch ich nicht beeinträchtigt werde, welches aber der alleinige Grund ist, weshalb ich, ein Moralprincip noch nicht besitzend, sondern erst suchend, dieses zum allgemeinen Gesetz wünschen kann. Aber offenbar bleibt, auf diese Weise, Wunsch nach Wohlseyn, d.h. Egoismus, die Quelle dieses ethischen Princips. Als Basis der Staatslehre wäre es vortrefflich, als Basis der Ethik taugt es nicht. Denn zu der in jenem Moralprincip aufgegebenen Festsetzung eines Regulativs für den Willen Aller, bedarf, der es sucht, nothwendig selbst wieder eines Regulativs, sonst wäre ihm ja Alles gleichgültig. Dies Regulativ aber kann nur der eigene Egoismus seyn, da nur auf diesen das Verhalten Anderer einfließt, und daher nur mittelst desselben und in Rücksicht auf ihn, Jener einen Willen in Betreff des Handelns Anderer haben kann und es ihm nicht gleichgültig ist. Sehr naiv giebt Kant dieses selbst zu erkennen, S. 123 der »Kritik der praktischen Vernunft« (Rosenkranzische Ausgabe, S. 192), wo er das Aufsuchen der Maxime für den Willen also ausführt: »Wenn Jeder Anderer Noth mit völliger Gleichgültigkeit ansähe, und du gehörtest mit zu einer solchen Ordnung der Dinge, würdest du darin willigen?« – Quam temere in nosmet legem sancimus iniquam! wäre das Regulativ der nachgefragten Einwilligung. Eben so in der »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, S. 56 der dritten, S. 50 der Rosenkranzischen Ausgabe: »Ein Wille, der beschlösse. Niemanden in der Noth beizustehn, würde sich widerstreiten, indem sich Fälle ereignen können, wo er Anderer Liebe und Theilnahme bedarf « u.s.w. Dieses Princip der Ethik, welches daher, beim Licht betrachtet, nichts Anderes, als ein indirekter und verblümter Ausdruck des alten, einfachen Grundsatzes, quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris ist, bezieht sich also zuerst und unmittelbar auf das Passive, das Leiden, und dann erst vermittelst dieses auf das Thun: daher wäre es, wie gesagt, als Leitfaden zur Errichtung des Staats , welcher auf die Verhütung des Unrechtleidens gerichtet ist, auch Allen und Jedem die größte Summe von Wohlseyn verschaffen möchte, ganz brauchbar; aber in der Ethik, wo der Gegenstand der Untersuchung das Thun als Thun und in seiner unmittelbaren Bedeutung für den Thäter ist, nicht aber seine Folge, das Leiden, oder seine Beziehung auf Andere, ist jene Rücksicht durchaus nicht zulässig, indem sie im Grunde doch wieder auf ein Glücksäligkeitsprincip, also auf Egoismus, hinausläuft.
    Wir können daher auch nicht Kants Freude theilen, die er daran hat, daß sein Princip der Ethik kein materiales, d.h. ein Objekt als Motiv setzendes, sondern ein bloß formales ist, wodurch es symmetrisch entspricht den formalen Gesetzen, welche die Kritik der reinen Vernunft uns kennen gelehrt hat. Es ist freilich statt eines Gesetzes, nur die Formel zur Auffindung eines solchen; aber theils hatten wir diese Formel schon kürzer und klarer in dem: quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris , theils zeigt die Analyse dieser Formel, daß einzig und allein die Rücksicht auf eigene Glücksäligkeit ihr Gehalt giebt, daher sie nur dem vernünftigen Egoismus dienen kann, dem auch alle gesetzliche Verfassung ihren Ursprung verdankt.
    Ein anderer Fehler, der, weil er dem Gefühl eines Jeden Anstoß giebt, oft gerügt und von Schiller in einem Epigramm persiflirt ist, ist die pedantische Satzung, daß eine That, um wahrhaft gut und verdienstlich zu seyn, einzig und allein aus Achtung vor dem erkannten Gesetz und dem Begriff der Pflicht, und nach einer der Vernunft in abstracto bewußten Maxime vollbracht werden muß, nicht aber irgend aus Neigung, nicht aus gefühltem Wohlwollen gegen Andere, nicht aus weichherziger Theilnahme,

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