Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Vermögen, durch Vorstellungen von dem, was selbst auf entferntere Art nützlich oder schädlich ist, die Eindrücke auf unser sinnliches Begehrungsvermögen zu überwinden. Diese Ueberlegungen von dem, was in Ansehung unsers ganzen Zustandes begehrungswerth, d. i. gut und nützlich, ist, beruhen auf der Vernunft.« (Vollkommen richtig: spräche er nur immer so vernünftig von der Vernunft!) »Diese giebt daher ! auch Gesetze, welche Imperativen, d. i. objektive Gesetze der Freiheit sind und sagen was geschehn soll , ob es gleich vielleicht nie geschieht.« –! So, ohne weitere Beglaubigung, springt der kategorische Imperativ in die Welt, um daselbst das Regiment zu führen mit seinem unbedingten Soll , – einem Scepter aus hölzernem Eisen. Denn im Begriff Sollen liegt durchaus und wesentlich die Rücksicht auf angedrohte Strafe, oder versprochene Belohnung, als nothwendige Bedingung, und ist nicht von ihm zu trennen, ohne ihn selbst aufzuheben und ihm alle Bedeutung zu nehmen: daher ist ein unbedingtes Soll eine contradictio in adjecto . Dieser Fehler mußte gerügt werden, so nahe er übrigens mit Kants großem Verdienst um die Ethik verwandt ist, welches eben darin besteht, daß er die Ethik von allen Principien der Erfahrungswelt, namentlich von aller direkten oder indirekten Glücksäligkeitslehre frei gemacht und ganz eigentlich gezeigt hat, daß das Reich der Tugend nicht von dieser Welt sei. Dieses Verdienst ist um so größer, als schon alle alten Philosophen, mit Ausnahme des einzigen Plato, nämlich Peripatetiker, Stoiker, Epikureer, durch sehr verschiedene Kunstgriffe, Tugend und Glücksäligkeit bald nach dem Satz vom Grunde von einander abhängig machen, bald nach dem Satz vom Widerspruch identificiren wollten. Nicht minder trifft der selbe Vorwurf alle Philosophen der neuem Zeit, bis auf Kant. Sein Verdienst hierin ist daher sehr groß: jedoch fordert die Gerechtigkeit auch hiebei zu erinnern, daß theils seine Darstellung und Ausführung der Tendenz und dem Geist seiner Ethik oft nicht entspricht, wie wir sogleich sehn werden, theils auch, daß er, selbst so, nicht der allererste ist, der die Tugend von allen Glücksäligkeitsprincipien gereinigt hat. Denn schon Plato, besonders in der Republik, deren Haupttendenz eben dieses ist, lehrt ausdrücklich, daß die Tugend allein ihrer selbst wegen zu wählen sei, auch wenn Unglück und Schande unausbleiblich mit ihr verknüpft wäre. Noch mehr aber predigt das Christenthum eine völlig uneigennützige Tugend, welche auch nicht wegen des Lohnes in einem Leben nach dem Tode, sondern ganz unentgeltlich, aus Liebe zu Gott, geübt wird, sofern die Werke nicht rechtfertigen, sondern allein der Glaube, welchen, gleichsam als sein bloßes Symptom, die Tugend begleitet und daher ganz unentgeltlich und von selbst eintritt. Man lese Luther, De libertate Christiana. Ich will gar nicht die Inder in Rechnung bringen, in deren heiligen Büchern überall das Hoffen eines Lohnes seiner Werke als der Weg der Finsterniß geschildert wird, der nie zur Säligkeit führen kann. So rein finden wir Kants Tugendlehre doch nicht: oder vielmehr die Darstellung ist hinter dem Geiste weit zurückgeblieben, ja, in Inkonsequenz verfallen. In seinem nachher abgehandelten höchsten Gut finden wir die Tugend mit der Glücksäligkeit vermählt. Das ursprünglich so unbedingte Soll postulirt sich hinterdrein doch eine Bedingung, eigentlich um den Innern Widerspruch los zu werden, mit welchem behaftet es nicht leben kann. Die Glücksäligkeit im höchsten Gut soll nun zwar nicht eigentlich das Motiv zur Tugend seyn: dennoch steht sie da, wie ein geheimer Artikel, dessen Anwesenheit alles Uebrige zu einem bloßen Scheinvertrage macht: sie ist nicht eigentlich der Lohn der Tugend, aber doch eine freiwillige Gabe, zu der die Tugend, nach ausgestandener Arbeit, verstohlen die Hand offen hält. Man überzeuge sich hievon durch die »Kritik der praktischen Vernunft« (S. 223-266 der vierten, oder S. 264-295 der Rosenkranzischen Ausgabe). Die selbe Tendenz hat auch seine ganze Moraltheologie: durch diese vernichtet eben deshalb eigentlich die Moral sich selbst. Denn, ich wiederhole es, alle Tugend, die irgendwie eines Lohnes wegen geübt wird, beruht auf einem klugen, methodischen, weitsehenden Egoismus.
Der Inhalt des absoluten Solls, das Grundgesetz der praktischen Vernunft, ist nun das Gerühmte: »Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen
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