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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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ausgesprochen wird. So geschieht es denn auch bisweilen, daß, indem wir auf diesem Wege, oder auch auf dem bloß intuitiven, d.h. durch ein glückliches Apperçu , irgend eine neue Wahrheit uns zum Bewußtseyn gebracht haben, wir nun zu ihr, als der Konklusion, die Prämissen suchen, d.h. einen Beweis für dieselbe aufstellen möchten: denn die Erkenntnisse sind in der Regel früher da, als ihre Beweise. Wir durchwühlen alsdann den Vorrath unserer Erkenntnisse, um zu sehn, ob wir nicht darin irgend eine Wahrheit finden können, in welcher die neu entdeckte schon implicite enthalten wäre, oder zwei Sätze, durch deren regelmäßige Aneinanderfügung diese sich als Resultat ergäbe. – Hingegen liefert den förmlichsten und großartigsten Syllogismus, und zwar in der ersten Figur, jeder gerichtliche Proceß. Die Civil- oder Kriminal-Uebertretung, wegen welcher geklagt wird. Ist die Minor: sie wird vom Kläger festgestellt. Das Gesetz für solchen Fall ist die Major. Das Urtheil ist die Konklusion, welche daher, als ein Nothwendiges, vom Richter bloß »erkannt« wird.
    Jetzt aber will ich versuchen, von dem eigentlichen Mechanismus des Schließens die einfachste und richtigste Darstellung zu geben.
    Das Urtheilen , dieser elementare und wichtigste Proceß des Denkens, besteht im Vergleichen zweier Begriffe ; das Schließen im Vergleichen zweier Urtheile . Inzwischen wird gewöhnlich, in den Lehrbüchern, das Schließen ebenfalls auf ein Vergleichen von Begriffen zurückgeführt, wiewohl von dreien ; indem nämlich aus dem Verhältniß, welches zwei dieser Begriffe zum dritten haben, dasjenige, welches sie zu einander haben, erkannt würde. Dieser Ansicht läßt sich die Wahrheit auch nicht absprechen, und indem dieselbe Anlaß zu der, auch von mir im Text gelobten, anschaulichen Darstellung der syllogistischen Verhältnisse mittelst gezeichneter Begriffssphären giebt, hat sie den Vorzug, die Sache leicht faßlich zu machen. Allein mir scheint, daß hier, wie in so manchen Fällen, die Faßlichkeit auf Kosten der Gründlichkeit erreicht wird. Der eigentliche Denkproceß beim Schließen, mit welchem die drei syllogistischen Figuren und ihre Nothwendigkeit genau zusammenhängen, wird dadurch nicht erkannt. Wir operiren nämlich beim Schließen nicht mit bloßen Begriffen , sondern mit ganzen Urtheilen , denen die Qualität, die allein in der Kopula und nicht in den Begriffen liegt, wie auch die Quantität, durchaus wesentlich ist, wozu auch sogar noch die Modalität kommt. Jene Darstellung des Schlusses als eines Verhältnisses dreier Begriffe fehlt darin, daß sie die Urtheile sogleich in ihre letzten Bestandtheile (die Begriffe) auflöst, wobei das Bindungsmittel dieser verloren geht und das den Urtheilen als solchen und in ihrer Ganzheit Eigenthümliche, welches gerade die Nothwendigkeit der aus ihnen hervorgehenden Konklusion herbeiführt, aus den Augen gebracht wird. Sie verfällt hiedurch in einen Fehler, der dem analog ist, den die organische Chemie begienge, wenn sie, z.B. in der Analyse der Pflanzen, diese sogleich in ihre letzten Bestandtheile auflöste, wo sie denn bei allen Pflanzen Karbon, Hydrogen und Oxygen erhalten, aber die specifischen Unterschiede verlieren würde, welche zu gewinnen man bei den nähern Bestandtheilen, den sogenannten Alkaloiden, stehn bleiben und sich hüten muß, diese gleich wieder zu zersetzen. – Aus drei gegebenen Begriffen läßt sich noch kein Schluß ziehn. Da sagt man freilich: das Verhältniß zweier derselben zum dritten muß dabei gegeben seyn. Der Ausdruck dieses Verhältnisses sind, aber gerade die jene Begriffe verbindenden Urtheile : also sind Urtheile , nicht bloße Begriffe , der Stoff des Schlusses. Demnach ist Schließen wesentlich ein Vergleichen zweier Urtheile : mit diesen, mit den durch sie ausgedrückten Gedanken, und nicht bloß mit drei Begriffen, geht der Denkproceß in unserm Kopfe, auch wenn er unvollständig oder gar nicht durch Worte bezeichnet wird, vor sich, und als solchen, als ein Aneinanderhalten der ganzen, unzerlegten Urtheile, muß man ihn in Betrachtung nehmen, um den technischen Hergang beim Schließen eigentlich zu verstehn, woraus dann auch die Nothwendigkeit dreier, wirklich vernunftgemäßer, syllogistischer Figuren sich ergeben wird.
    Wie man, bei der Darstellung der Syllogistik mittelst Begriffssphären , diese sich unter dem Bilde von Kreisen denkt; so hat man, bei der Darstellung mittelst ganzer Urtheile , sich diese unter dem

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