Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Betrachtung solcher Urtheile hingegeben, ihn von selbst, nach ihren eigenen Gesetzen, vollzieht: insofern ist er objektiv, nicht subjektiv, und daher den strengsten Regeln unterworfen.
Beiläufig fragt sich, ob der Schließende durch den neu entstandenen Satz wirklich etwas Neues erfährt, etwas ihm vorher Unbekanntes? – Nicht schlechthin; aber doch gewissermaaßen. Was er erfährt, lag in Dem, was er wußte: also wußte er es schon mit. Aber er wußte nicht, daß er es wußte, welches ist, wie wenn man etwas hat, aber nicht weiß, daß man es hat; wo es so gut ist, als hätte man es nicht. Nämlich er wußte es nur implicite , jetzt weiß er es explicite: dieser Unterschied aber kann so groß seyn, daß ihm der Schlußsatz als eine neue Wahrheit erscheint. Z.B.
Alle Diamanten sind Steine;
Alle Diamanten sind verbrennlich:
Also sind einige Steine verbrennlich.
Das Wesen des Schlusses besteht folglich darin, daß wir uns zum deutlichen Bewußtseyn bringen, die Aussage der Konklusion schon in den Prämissen mitgedacht zu haben: er ist demnach ein Mittel, sich seiner eigenen Erkenntniß deutlicher bewußt zu werden, näher zu erfahren, oder inne zu werden, was man weiß. Die Erkenntniß, welche der Schlußsatz liefert, war latent , wirkte daher so wenig, wie latente Wärme aufs Thermometer wirkt. Wer Salz hat, hat auch Chlor; aber es ist als hätte er es nicht: denn nur wenn es chemisch entbunden ist, kann es als Chlor wirken; also erst dann besitzt er es wirklich. Eben so verhält sich der Erwerb, welchen ein bloßer Schluß aus schon bekannten Prämissen liefert: eine vorher gebundene oder latente Erkenntniß wird dadurch frei . Diese Vergleiche könnten zwar etwas übertrieben scheinen, sind es jedoch wohl nicht. Denn, weil wir viele der aus unsern Erkenntnissen möglichen Schlüsse sehr bald, sehr schnell und ohne Förmlichkeit vollziehn, weshalb auch keine deutliche Erinnerung derselben bleibt; so scheint es, daß keine Prämissen zu möglichen Schlüssen lange unbenutzt aufbewahrt blieben, sondern wir zu allen Prämissen, die im Bereich unsers Wissens liegen, auch schon die Konklusionen fertig hätten. Allein dies ist nicht immer der Fall: vielmehr können, in einem Kopfe, zwei Prämissen lange Zeit ein isolirtes Daseyn haben, bis endlich ein Anlaß sie zusammenführt, wo dann die Konklusion plötzlich hervorspringt, wie aus Stahl und Stein, erst wann sie an einander schlagen, der Funke. Wirklich liegen, sowohl zu theoretischen Einsichten, als zu Motiven, welche Entschlüsse herbeiführen, die von außen aufgenommenen Prämissen oft lange in uns und werden, zum Theil durch undeutlich bewußte, selbst wortlose Denkakte, mit unserm übrigen Vorrath von Erkenntnissen verglichen, ruminirt und gleichsam durcheinandergeschütttelt, bis endlich die rechte Major auf die rechte Minor trifft, wo diese alsbald sich gehörig stellen und nun die Konklusion mit Einem Male dasteht, als ein uns plötzlich aufgegangenes Licht, und ohne unser Zuthun, als wäre sie eine Inspiration: da begreifen wir nicht, wie wir und wie Andere Das so lange nicht erkannt haben. Freilich wird im glücklich organisirten Kopf dieser Proceß schneller und leichter vor sich gehn, als im gewöhnlichen: und eben weil er spontan, ja ohne deutliches Bewußtseyn vollzogen wird, ist er nicht zu erlernen. Daher sagt Goethe :
»Wie etwas sei leicht,
Weiß, der es erfunden und der es erreicht.«
Als ein Gleichniß des geschilderten Gedankenprocesses kann man jene Vorhängschlösser betrachten, die aus Ringen mit Buchstaben bestehn: am Koffer eines Reisewagens hängend werden sie so lange geschüttelt, bis endlich die Buchstaben des Wortes gehörig zusammentreffen und das Schloß aufgeht. Uebrigens aber ist dabei zu bedenken, daß der Syllogismus im Gedankengange selbst besteht, die Worte und Sätze aber, durch welche man ihn ausdrückt, bloß die nachgebliebene Spur desselben bezeichnen: sie verhalten sich zu ihm, wie die Klangfiguren aus Sand zu den Tönen, deren Vibrationen sie darstellen. Wann wir etwas überdenken wollen, rücken wir unsere Data zusammen, sie konkresciren zu Urtheilen, welche sämmtlich schnell aneinandergehalten und verglichen werden, wodurch sich augenblicklich die daraus möglichen Konklusionen, mittelst des Gebrauchs aller drei syllogistischen Figuren, absetzen; wobei jedoch, wegen der großen Schnelligkeit dieser Operationen, nur wenige, bisweilen gar keine Worte gebraucht werden und bloß die Konklusion förmlich
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