Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Wille ist metaphysisch, der Intellekt physisch; – der Intellekt ist, wie seine Objekte, bloße Erscheinung; Ding an sich ist allein der Wille: – sodann in einem mehr und mehr bildlichen Sinne, mithin gleichnißweise: der Wille ist die Substanz des Menschen, der Intellekt das Accidenz: – der Wille ist die Materie, der Intellekt die Form: – der Wille ist die Wärme, der Intellekt das Licht.
Diese Thesis wollen wir nun zunächst durch folgende, dem innern Leben des Menschen angehörende Thatsachen dokumentiren und zugleich erläutern; bei welcher Gelegenheit für die Kenntniß des innern Menschen vielleicht mehr abfallen wird, als in vielen systematischen Psychologien zu finden ist.
1) Nicht nur das Bewußtseyn von andern Dingen, d.i. die Wahrnehmung der Außenwelt, sondern auch das Selbstbewußtseyn enthält, wie schon oben erwähnt, ein Erkennendes und ein Erkanntes: sonst wäre es kein Bewußtseyn . Denn Bewußtseyn besteht im Erkennen: aber dazu gehört ein Erkennendes und ein Erkanntes; daher auch das Selbstbewußtseyn nicht Statt haben könnte, wenn nicht auch in ihm dem Erkennenden gegenüber ein davon Verschiedenes Erkanntes wäre. Wie nämlich kein Objekt ohne Subjekt seyn kann, so auch kein Subjekt ohne Objekt, d.h. kein Erkennendes ohne ein von ihm Verschiedenes, welches erkannt wird. Daher ist ein Bewußtseyn, welches durch und durch reine Intelligenz wäre, unmöglich. Die Intelligenz gleicht der Sonne, welche den Raum nicht erleuchtet, wenn nicht ein Gegenstand daist, von dem ihre Strahlen zurückgeworfen werden. Das Erkennende selbst kann, eben als solches, nicht erkannt werden: sonst wäre es das Erkannte eines andern Erkennenden. Als das Erkannte im Selbstbewußtseyn finden wir nun aber ausschließlich den Willen . Denn nicht nur das Wollen und Beschließen, im engsten Sinne, sondern auch alles Streben, Wünschen, Fliehen, Hoffen, Fürchten, Lieben, Hassen, kurz, Alles was das eigene Wohl und Wehe, Lust und Unlust, unmittelbar ausmacht, ist offenbar nur Affektion des Willens, ist Regung, Modifikation des Wollens und Nichtwollens, ist eben Das, was, wenn es nach außen wirkt, sich als eigentlicher Willensakt darstellt 20 . Nun aber ist in aller Erkenntniß das Erkannte das Erste und Wesentliche, nicht das Erkennende; sofern Jenes der prôtotypos , dieses der ektypos ist. Daher muß auch im Selbstbewußtseyn das Erkannte, mithin der Wille, das Erste und Ursprüngliche seyn; das Erkennende hingegen nur das Sekundäre, das Hinzugekommene, der Spiegel. Sie verhalten sich ungefähr wie der selbstleuchtende Körper zum reflektirenden; oder auch wie die vibrirende Saite zum Resonanzboden, wo dann der also entstehende Ton das Bewußtseyn wäre. – Als ein solches Sinnbild des Bewußtseyns können wir auch die Pflanze betrachten. Diese hat bekanntlich zwei Pole, Wurzel und Krone: jene ins Finstere, Feuchte, Kalte, diese ins Helle, Trockene, Warme strebend, sodann, als den Indifferenzpunkt beider Pole, da wo sie auseinandertreten, hart am Boden, den Wurzelstock (rhizoma, le collet). Die Wurzel ist das Wesentliche, Ursprüngliche, Perennirende, dessen Absterben das der Krone nach sich zieht, ist also das Primäre; die Krone hingegen ist das Ostensible, aber Entsprossene und, ohne daß die Wurzel stirbt, Vergehende, also das Sekundäre. Die Wurzel stellt den Willen, die Krone den Intellekt vor, und der Indifferenzpunkt Beider, der Wurzelstock, wäre das Ich, welches, als gemeinschaftlicher Endpunkt, Beiden angehört. Dieses Ich ist das pro tempore identische Subjekt des Erkennens und Wollens, dessen Identität ich schon in meiner allerersten Abhandlung (Ueber den Satz vom Grunde) und in meinem ersten philosophischen Erstaunen, das Wunder kat' exochên genannt habe. Es ist der zeitliche Anfangs- und Anknüpfungspunkt der gesammten Erscheinung, d.h. der Objektivation des Willens: es bedingt zwar die Erscheinung, aber ist auch durch sie bedingt. – Das hier aufgestellte Gleichniß läßt sich sogar bis auf die individuelle Beschaffenheit der Menschen durchführen. Wie nämlich eine große Krone nur einer großen Wurzel zu entsprießen pflegt; so finden die größten intellektuellen Fähigkeiten sich nur bei heftigem, leidenschaftlichem Willen. Ein Genie von phlegmatischem Charakter und schwachen Leidenschaften würde den Saftpflanzen, die bei ansehnlicher, aus dicken Blättern bestehender Krone, sehr kleine Wurzeln haben, gleichen; wird jedoch nicht gefunden werden. Daß Heftigkeit des Willens und
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