Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
ist: daher ist im Schlafe die ganze Kraft des Willens auf Erhaltung und, wo es nöthig ist, Ausbesserung des Organismus gerichtet; weshalb alle Heilung, alle wohlthätigen Krisen, im Schlaf erfolgen; indem die vis naturae medicatrix erst dann freies Spiel hat, wann sie von der Last der Erkenntnißfunktion befreit ist. Der Embryo, welcher gar erst den Leib noch zu bilden hat, schläft daher fortwährend und das Neugeborene den größten Theil seiner Zeit. In diesem Sinne erklärt auch Burdach (Physiologie, Bd. 3, S. 484) ganz richtig den Schlaf für den ursprünglichen Zustand.
In Hinsicht auf das Gehirn selbst erkläre ich mir die Nothwendigkeit des Schlafes näher durch eine Hypothese, welche zuerst aufgestellt zu seyn scheint in Neumanns Buch »Von den Krankheiten des Menschen«, 1834, Bd. 4, § 216. Es ist diese, daß die Nutrition des Gehirns, also die Erneuerung seiner Substanz aus dem Blute, während des Wachens nicht vor sich gehn kann; indem die so höchst eminente, organische Funktion des Erkennens und Denkens von der so niedrigen und materiellen der Nutrition gestört oder aufgehoben werden würde. Hieraus erklärt sich, daß der Schlaf nicht ein rein negativer Zustand, bloßes Pausiren der Gehirnthätigkeit, ist, sondern zugleich einen positiven Charakter zeigt. Dieser giebt sich schon dadurch kund, daß zwischen Schlaf und Wachen kein bloßer Unterschied des Grades, sondern eine feste Gränze ist, welche, sobald der Schlaf eintritt, sich durch Traumbilder ankündigt, die unsern dicht vorhergegangenen Gedanken völlig heterogen sind. Ein fernerer Beleg desselben ist, daß wann wir beängstigende Träume haben, wir vergeblich bemüht sind, zu schreien, oder Angriffe abzuwehren, oder den Schlaf abzuschütteln; so daß es ist, als ob das Bindeglied zwischen dem Gehirn und den motorischen Nerven, oder zwischen dem großen und kleinen Gehirn (als dem Regulator der Bewegungen) ausgehoben wäre: denn das Gehirn bleibt in seiner Isolation, und der Schlaf hält uns wie mit ehernen Klauen fest. Endlich ist der positive Charakter des Schlafes daran ersichtlich, daß ein gewisser Grad von Kraft zum Schlafen erfordert ist; weshalb zu große Ermüdung, wie auch natürliche Schwäche, uns verhindern ihn zu erfassen, capere somnum . Dies ist daraus zu erklären, daß der Nutritionsproceß eingeleitet werden muß, wenn Schlaf eintreten soll: das Gehirn muß gleichsam anbeißen. Auch das vermehrte Zuströhmen des Blutes ins Gehirn, während des Schlafes, ist aus dem Nutritionsproceß erklärlich; wie auch die, weil sie dieses befördert, instinktmäßig angenommene Lage der über den Kopf zusammengelegten Arme; desgleichen, warum Kinder, so lange das Gehirn noch wächst, sehr vielen Schlafes bedürfen, im Greisenalter hingegen, wo eine gewisse Atrophie des Gehirns, wie aller Theile, eintritt, der Schlaf karg wird; endlich sogar, warum übermäßiger Schlaf eine gewisse Dumpfheit des Bewußtseyns bewirkt, nämlich in Folge einer einstweiligen Hypertrophie des Gehirns, welche, bei habituellem Uebermaaß des Schlafes, auch zu einer dauernden werden und Blödsinn erzeugen kann: aniê kai polys hypnos (noxae est etiam multus somnus). Od. 15, 394. – Das Bedürfniß des Schlafes steht demgemäß in geradem Verhältniß zur Intensität des Gehirnlebens, also zur Klarheit des Bewußtseyns. Solche Thiere, deren Gehirnleben schwach und dumpf ist, schlafen wenig und leicht, z.B. Reptilien und Fische: wobei ich erinnere, daß der Winterschlaf fast nur dem Namen nach ein Schlaf ist, nämlich nicht eine Inaktion des Gehirns allein, sondern des ganzen Organismus, also eine Art Scheintod. Thiere von bedeutender Intelligenz schlafen tief und lange. Auch Menschen bedürfen um so mehr Schlaf, je entwickelter, der Quantität und Qualität nach, und je thätiger ihr Gehirn ist. Montaigne erzählt von sich, daß er stets ein Langschläfer gewesen, einen großen Theil seines Lebens verschlafen habe und noch im hohem Alter acht bis neun Stunden in Einem Zuge schlafe (Liv. III, ch. 13). Auch von Cartesius wird uns berichtet, daß er viel geschlafen habe (Baillet, Vie de Descartes, 1693, p. 288). Kant hatte sich zum Schlaf sieben Stunden ausgesetzt: aber damit auszukommen wurde ihm so schwer, daß er seinem Bedienten befohlen hatte, ihn wider Willen und ohne auf seine Gegenreden zu hören, zur bestimmten Zeit zum Aufstehn zu zwingen ( Jachmann , Immanuel Kant, S. 162). Denn je vollkommener wach Einer ist, d.h. je klarer und aufgeweckter sein
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