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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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und des Werdens und Vergehns in ihr nicht unterworfen. Hiedurch also giebt er sich als das Metaphysische, nicht selbst der Erscheinungswelt Angehörige, zu erkennen.
    9) Die allgemein gebrauchten und durchgängig sehr wohl verstandenen Ausdrücke Herz und Kopf sind aus einem richtigen Gefühl des hier in Rede stehenden fundamentalen Unterschiedes entsprungen; daher sie auch treffend und bezeichnend sind und in allen Sprachen sich wiederfinden. Nec cor nec caput habet , sagt Seneka vom Kaiser Klaudius . (Ludus de morte Claudii Caesaris, c. 8.) Mit vollem Recht ist das Herz , dieses primum mobile des thierischen Lebens, zum Symbol, ja zum Synonym des Willens , als des Urkerns unserer Erscheinung, gewählt worden und bezeichnet diesen, im Gegensatz des Intellekts , der mit dem Kopf geradezu identisch ist. Alles was, im weitesten Sinne, Sache des Willens ist, wie Wunsch, Leidenschaft, Freude, Schmerz, Güte, Bosheit, auch was man unter »Gemüth« zu verstehn pflegt, und was Homer durch philon êtor ausdrückt, wird dem Herzen beigelegt. Demnach sagt man: er hat ein schlechtes Herz; – er hängt sein Herz an diese Sache; – es geht ihm vom Herzen; – es war ihm ein Stich ins Herz; – es bricht ihm das Herz; – sein Herz blutet; – das Herz hüpft vor Freude; – wer kann dem Menschen ins Herz sehn? – es ist herzzerreißend, herzzermalmend, herzbrechend, herzerhebend, herzrührend; – er ist herzensgut, – hartherzig, – herzlos, herzhaft, feigherzig u.a.m. Ganz speciell aber heißen Liebeshändel Herzensangelegenheiten, affaires de coeur ; weil der Geschlechtstrieb der Brennpunkt des Willens ist und die Auswahl in Bezug auf denselben die Hauptangelegenheit des natürlichen menschlichen Wollens ausmacht, wovon ich den Grund in einem ausführlichen Kapitel zum vierten Buche nachweisen werde. Byron , im »Don Juan«, C. II, v. 34 , satyrisirt darüber, daß den Damen die Liebe, statt Sache des Herzens, Sache des Kopfes sei. – Hingegen bezeichnet der Kopf Alles, was Sache der Erkenntniß ist. Daher: ein Mann von Kopf, ein kluger Kopf, feiner Kopf, schlechter Kopf, den Kopf verlieren, den Kopf oben behalten u.s.w. Herz und Kopf bezeichnet den ganzen Menschen. Aber der Kopf ist stets das Zweite, das Abgeleitete: denn er ist nicht das Centrum, sondern die höchste Efflorescenz des Leibes. Wann ein Held stirbt, balsamirt man sein Herz ein, nicht sein Gehirn: hingegen bewahrt man gern den Schädel der Dichter, Künstler und Philosophen. So wurde in der Academia di S. Luca zu Rom Raphaels Schädel aufbewahrt, ist jedoch kürzlich als unächt nachgewiesen worden: in Stockholm wurde 1820 der Schädel des Cartesius in Auktion verkauft 26 .
    Ein gewisses Gefühl des wahren Verhältnisses zwischen Willen, Intellekt, Leben, ist auch in der Lateinischen Sprache ausgedrückt. Der Intellekt ist mens , nous ; der Wille hingegen ist animus ; welches von anima kommt, und dieses von anemos . Anima ist das Leben selbst, der Athem, psychê : animus aber ist das belebende Princip und zugleich der Wille, das Subjekt der Neigungen, Absichten, Leidenschaften und Affekte: daher auch est mihi animus, – fert animus, – für »ich habe Lust«, auch animi causa u.a.m., es ist das Griechische thymos , also Gemüth, Herz, nicht aber Kopf. Animi perturbatio ist der Affekt, mentis perturbatio würde Verrücktheit bedeuten. Das Prädikat immortalis wird dem animus beigelegt, nicht der mens. Alles dies ist die aus der großen Mehrzahl der Stellen hervorgehende Regel; wenn gleich, bei so nahe verwandten Begriffen, es nicht fehlen kann, daß die Worte bisweilen verwechselt werden. Unter psychê scheinen die Griechen zunächst und ursprünglich die Lebenskraft verstanden zu haben, das belebende Princip; wobei sogleich die Ahndung aufstieg, daß es ein Metaphysisches seyn müsse, folglich vom Tode nicht mitgetroffen würde. Dies beweisen, unter Anderm, die von Stobäos aufbewahrten Untersuchungen des Verhältnisses zwischen nous und psychê . (Ecl., Lib. I, c. 51, § 7, 8.)
    10) Worauf beruht die Identität der Person? – Nicht auf der Materie des Leibes: sie ist nach wenigen Jahren eine andere. Nicht auf der Form desselben: sie ändert sich im Ganzen und in allen Theilen; bis auf den Ausdruck des Blickes, an welchem man daher auch nach vielen Jahren einen Menschen noch erkennt; welches beweist, daß trotz allen Veränderungen, die an ihm die Zeit hervorbringt, doch etwas in ihm davon völlig unberührt bleibt: es ist eben Dieses, woran wir, auch

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