Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
selbst unser eigener Leib diese Art von Daseyn nur in einem Gehirn haben. Denn die Erkenntniß, welche ich von meinem Leibe als einem Ausgedehnten, Raumerfüllenden und Beweglichen habe, ist bloß mittelbar : sie ist ein Bild in meinem Gehirn, welches mittelst Sinne und Verstand zu Stande kommt. Unmittelbar gegeben ist mir der Leib allein in der Muskelaktion und im Schmerz oder Behagen, welche Beide zunächst und unmittelbar dem Willen angehören. – Das Zusammenbringen aber dieser beiden verschiedenen Erkenntnißweisen meines eigenen Leibes vermittelt nachher die fernere Einsicht, daß alle andern Dinge, welche ebenfalls das beschriebene objektive Daseyn, welches zunächst nur in meinem Gehirn ist, haben, deshalb nicht außer demselben gar nicht vorhanden seien, sondern ebenfalls an sich zuletzt eben Das seyn müssen, was sich dem Selbstbewußtseyn als Wille kund giebt.
Kapitel 22.Objektive Ansicht des Intellekts
Es giebt zwei von Grund aus verschiedene Betrachtungsweisen des Intellekts, welche auf der Verschiedenheit des Standpunkts beruhen und, so sehr sie auch, in Folge dieser, einander entgegengesetzt sind, dennoch in Uebereinstimmung gebracht werden müssen. – Die eine ist die subjektive , welche, von innen ausgehend und das Bewußtseyn als das Gegebene nehmend, uns darlegt, durch welchen Mechanismus in demselben die Welt sich darstellt, und wie aus den Materialien, welche Sinne und Verstand liefern, sie sich darin aufbaut. Als den Urheber dieser Betrachtungsweise haben wir Locke anzusehn: Kant brachte sie zu ungleich höherer Vollendung, und ebenfalls ist unser erstes Buch, nebst den Ergänzungen dazu, ihr gewidmet.
Die dieser entgegengesetzte Betrachtungsweise des Intellekts ist die objektive , welche von außen anhebt, nicht das eigene Bewußtseyn, sondern die in der äußern Erfahrung gegebenen, sich ihrer selbst und der Welt bewußten Wesen zu ihrem Gegenstande nimmt, und nun untersucht, welches Verhältniß der Intellekt derselben zu ihren übrigen Eigenschaften hat, wodurch er möglich, wodurch er nothwendig geworden, und was er ihnen leistet. Der Standpunkt dieser Betrachtungsweise ist der empirische: sie nimmt die Welt und die darin vorhandenen thierischen Wesen als schlechthin gegeben, indem sie von ihnen ausgeht. Sie ist demnach zunächst zoologisch, anatomisch, physiologisch, und wird erst durch die Verbindung mit jener erstern und von dem dadurch gewonnenen hohem Standpunkt aus philosophisch. Die bis jetzt allein gegebene Grundlage zu ihr verdanken wir den Zootomen und Physiologen, zumeist den Französischen. Besonders ist hier Cabanis zu nennen, dessen vortreffliches Werk, Des rapports du physique au moral , auf dem physiologischen Wege, für diese Betrachtungsweise bahnbrechend gewesen ist. Gleichzeitig wirkte der berühmte Bichat , dessen Thema jedoch ein viel umfassenderes war. Selbst Gall ist hier zu nennen; wenn gleich sein Hauptzweck verfehlt wurde. Unwissenheit und Vorurtheil haben gegen diese Betrachtungsweise die Anklage des Materialismus erhoben; weil dieselbe, sich rein an die Erfahrung haltend, die immaterielle Substanz, Seele, nicht kennt. Die neuesten Fortschritte in der Physiologie des Nervensystems, durch Charles Bell, Magendie, Marshall Hall u. a., haben den Stoff dieser Betrachtungsweise ebenfalls bereichert und berichtigt. Eine Philosophie, welche, wie die Kantische, diesen Gesichtspunkt für den Intellekt gänzlich ignorirt, ist einseitig und eben dadurch unzureichend. Sie läßt zwischen unserm philosophischen und unserm physiologischen Wissen eine unübersehbare Kluft, bei der wir nimmermehr Befriedigung finden können.
Obwohl schon Das, was ich in den beiden vorhergegangenen Kapiteln über das Leben und die Thätigkeit des Gehirns gesagt habe, dieser Betrachtungsweise angehört, imgleichen, in der Abhandlung über den Willen in der Natur, alle unter der Rubrik »Pflanzenphysiologie« gegebenen Erläuterungen und auch ein Theil der unter der Rubrik »Vergleichende Anatomie« befindlichen ihr gewidmet sind, wird die hier folgende Darlegung ihrer Resultate im Allgemeinen keineswegs überflüssig seyn.
Des grellen Kontrastes zwischen den beiden im Obigen einander entgegengestellten Betrachtungsweisen des Intellekts wird man am lebhaftesten inne werden, wenn man, die Sache auf die Spitze stellend, sich vergegenwärtigt, daß was die eine als besonnenes Denken und lebendiges Anschauen unmittelbar aufnimmt und zu ihrem Stoffe macht, für die andere nichts weiter ist, als
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