Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
die physiologische Funktion eines Eingeweides, des Gehirns; ja, daß man berechtigt ist, zu behaupten, die ganze objektive Welt, so gränzenlos im Raum, so unendlich in der Zeit, so unergründlich in der Vollkommenheit, sei eigentlich nur eine gewisse Bewegung oder Affektion der Breimasse im Hirnschädel. Da fragt man erstaunt: was ist dieses Gehirn, dessen Funktion ein solches Phänomen aller Phänomene hervorbringt? Was ist die Materie, die zu einer solchen Breimasse raffinirt und potenzirt werden kann, daß die Reizung einiger ihrer Partikeln zum bedingenden Träger des Daseyns einer objektiven Welt wird? Die Scheu vor solchen Fragen trieb zur Hypostase der einfachen Substanz einer immateriellen Seele, die im Gehirn bloß wohnte. Wir sagen unerschrocken: auch diese Breimasse ist, wie jeder vegetabilische oder animalische Theil, ein organisches Gebilde, gleich allen ihren geringeren Anverwandten, in der schlechtem Behausung der Köpfe unserer unvernünftigen Brüder, bis zum geringsten, kaum noch apprehendirenden herab; jedoch ist jene organische Breimasse das letzte Produkt der Natur, welches alle übrigen schon voraussetzt. An sich selbst aber und außerhalb der Vorstellung ist auch das Gehirn, wie Alles Andere, Wille. Denn Für-ein-Anderes-daseyn ist Vorgestelltwerden, Ansichseyn ist Wollen: hierauf eben beruht es, daß wir auf dem rein objektiven Wege nie zum Innern der Dinge gelangen; sondern, wenn wir von außen und empirisch ihr Inneres zu finden versuchen, dieses Innere, unter unsern Händen, stets wieder zu einem Aeußern wird, – das Mark des Baumes, so gut wie seine Rinde, das Herz des Thieres, so gut wie sein Fell, die Keimhaut und der Dotter des Eis, so gut wie seine Schaale. Hingegen auf dem subjektiven Wege ist das Innere uns jeden Augenblick zugänglich: da finden wir es als den Willen zunächst in uns selbst, und müssen, am Leitfaden der Analogie mit unserm eigenen Wesen, die übrigen enträthseln können, indem wir zu der Einsicht gelangen, daß ein Seyn an sich, unabhängig vom Erkanntwerden, d.h. Sichdarstellen in einem Intellekt, nur als ein Wollen denkbar ist.
Gehn wir nun, in der objektiven Auffassung des Intellekts, so weit wir irgend können, zurück; so werden wir finden, daß die Nothwendigkeit, oder das Bedürfniß der Erkenntniß überhaupt entsteht aus der Vielheit und dem getrennten Daseyn der Wesen, also aus der Individuation. Denn denkt man sich, es sei nur ein einziges Wesen vorhanden; so bedarf ein solches keiner Erkenntniß: weil nichts daist, was von ihm selbst verschieden wäre, und dessen Daseyn es daher erst mittelbar, durch Erkenntniß, d.h. Bild und Begriff, in sich aufzunehmen hätte. Es wäre eben selbst schon Alles in Allem, mithin bliebe ihm nichts zu erkennen, d.h. nichts Fremdes, das als Gegenstand, Objekt, aufgefaßt werden könnte, übrig. Bei der Vielheit der Wesen hingegen befindet jedes Individuum sich in einem Zustande der Isolation von allen übrigen, und daraus entsteht die Nothwendigkeit der Erkenntniß. Das Nervensystem, mittelst dessen das thierische Individuum zunächst sich seiner selbst bewußt wird, ist durch seine Haut begränzt: jedoch, im Gehirn bis zum Intellekt gesteigert, überschreitet es diese Gränze, mittelst seiner Erkenntnißform der Kausalität, und so entsteht ihm die Anschauung, als ein Bewußtseyn anderer Dinge, als ein Bild von Wesen in Raum und Zeit, die sich verändern, gemäß der Kausalität. – In diesem Sinne wäre es richtiger zu sagen: »nur das Verschiedene wird vom Verschiedenen erkannt«, als, wie Empedokles sagte, »nur das Gleiche vom Gleichen«, welches ein gar schwankender und vieldeutiger Satz war; obgleich sich auch wohl Gesichtspunkte fassen lassen, von welchen aus er wahr ist; wie, beiläufig gesagt, schon der des Helvetius , wenn er so schön wie treffend bemerkt: Il n'y a que l'esprit qui sente l'esprit: c'est une corde qui ne frémit qu'à l'unison ; – welches zusammentrifft mit dem Xenophanischen sophon einai dei ton epignôsomenon ton sophon (sapientem esse oportet eum, qui sapientem agniturus sit) , und ein großes Herzeleid ist. – Nun aber wieder von der andern Seite wissen wir, daß, umgekehrt, die Vielheit des Gleichartigen erst möglich wird durch Zeit und Raum, also durch die Formen unserer Erkenntniß. Der Raum entsteht erst, indem das erkennende Subjekt nach außen sieht: er ist die Art und Weise, wie das Subjekt etwas als von sich verschieden auffaßt. Soeben aber sahen wir die Erkenntniß
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