Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Erklärung des Hergangs unsers Erkennens von der verkehrten Seite angegriffen. Sie giengen nämlich dabei aus von einer sogenannten Seele, einem Wesen, dessen innere Natur und eigenthümliche Funktion im Denken bestände, und zwar ganz eigentlich im abstrakten Denken, mit bloßen Begriffen, die ihr um so vollkommener angehörten, als sie von aller Anschaulichkeit ferner lagen. (Hier bitte ich, die Anmerkung am Ende des § 6 meiner Preisschrift über das Fundament der Moral nachzusehn.) Diese Seele sei unbegreiflicherweise in den Leib gerathen, woselbst sie in ihrem reinen Denken nur Störungen erleide, schon durch die Sinneseindrücke und Anschauungen, noch mehr durch die Gelüste, welche diese erregen, endlich durch die Affekte, ja Leidenschaften, zu welchen wieder diese sich entwickeln; während das selbsteigene und ursprüngliche Element dieser Seele lauteres, abstraktes Denken sei, welchem überlassen sie nur Universalia, angeborene Begriffe und aeternas veritates zu ihren Gegenständen habe und alles Anschauliche tief unter sich liegen lasse. Daher stammt denn auch die Verachtung, mit welcher noch jetzt von den Philosophieprofessoren die »Sinnlichkeit« und das »Sinnliche« erwähnt, ja, zur Hauptquelle der Immoralität gemacht werden; während gerade die Sinne, da sie im Verein mit den apriorischen Funktionen des Intellekts, die Anschauung hervorbringen, die lautere und unschuldige Quelle aller unserer Erkenntnisse sind, von welcher alles Denken seinen Gehalt erst erborgt. Man könnte wahrlich glauben, jene Herren dächten bei der Sinnlichkeit stets nur an den vorgeblichen sechsten Sinn der Franzosen. – Besagtermaaßen also machte man, beim Proceß des Erkennens, das allerletzte Produkt desselben, das abstrakte Denken, zum Ersten und Ursprünglichen, griff demnach, wie gesagt, die Sache am verkehrten Ende an. – Wie nun, meiner Darstellung zufolge, der Intellekt aus dem Organismus und dadurch aus dem Willen entspringt, mithin ohne diesen nicht seyn könnte; so fände er ohne ihn auch keinen Stoff und Beschäftigung: weil alles Erkennbare eben nur die Objektivation des Willens ist.
Aber nicht nur die Anschauung der Außenwelt, oder das Bewußtsein anderer Dinge, ist durch das Gehirn und seine Funktionen bedingt, sondern auch das Selbstbewußtseyn. Der Wille an sich selbst ist bewußtlos und bleibt es im größten Theile seiner Erscheinungen. Die sekundäre Welt der Vorstellung muß hinzutreten, damit er sich seiner bewußt werde; wie das Licht erst durch die es zurückwerfenden Körper sichtbar wird und außerdem sich wirkungslos in die Finsterniß verliert. Indem der Wille, zum Zweck der Auffassung seiner Beziehungen zur Außenwelt, im thierischen Individuo, ein Gehirn hervorbringt, entsteht erst in diesem das Bewußtsein des eigenen Selbst, mittelst des Subjekts des Erkennens, welches die Dinge als daseiend, das Ich als wollend auffaßt. Nämlich die im Gehirn aufs Höchste gesteigerte, jedoch in die verschiedenen Theile desselben ausgebreitete Sensibilität muß zuvörderst alle Strahlen ihrer Thätigkeit zusammenbringen, sie gleichsam in einen Brennpunkt koncentriren, der jedoch nicht, wie bei Hohlspiegeln, nach außen, sondern, wie bei Konvexspiegeln, nach innen fällt: mit diesem Punkte nun beschreibt sie zunächst die Linie der Zeit, auf der daher Alles, was sie vorstellt, sich darstellen muß und welche die erste und wesentlichste Form alles Erkennens, oder die Form des innern Sinnes ist. Dieser Brennpunkt der gesammten Gehirnthätigkeit ist Das, was Kant die synthetische Einheit der Apperception nannte A5 : erst mittelst desselben wird der Wille sich seiner selbst bewußt, indem dieser Fokus der Gehirnthätigkeit, oder das Erkennende, sich mit seiner eigenen Basis, daraus er entsprungen ist, dem Wollenden, als identisch auffaßt und so das Ich entsteht. Dieser Fokus der Gehirnthätigkeit bleibt dennoch zunächst ein bloßes Subjekt des Erkennens und als solches fähig, der kalte und antheilslose Zuschauer, der bloße Lenker und Berather des Willens zu seyn, wie auch, ohne Rücksicht auf diesen und sein Wohl oder Weh, die Außenwelt rein objektiv aufzufassen. Aber sobald er sich nach innen richtet, erkennt er als die Basis seiner eigenen Erscheinung den Willen, und fließt daher mit diesem in das Bewußtseyn eines Ich zusammen. Jener Brennpunkt der Gehirnthätigkeit (oder das Subjekt der Erkenntniß) ist, als untheilbarer Punkt, zwar einfach, deshalb aber doch keine Substanz (Seele), sondern ein
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