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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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überhaupt durch Vielheit und Verschiedenheit bedingt. Also die Erkenntniß und die Vielheit, oder Individuation, stehn und fallen mit einander, indem sie sich gegenseitig bedingen. – Hieraus ist zu schließen, daß jenseit der Erscheinung, im Wesen an sich aller Dinge, welchem Zeit und Raum, und deshalb auch die Vielheit, fremd seyn muß, auch keine Erkenntniß vorhanden seyn kann. Dieses bezeichnet der Buddhaismus als Pradschna Paramita , d.i. das Jenseits aller Erkenntniß. (Hierüber siehe I. J. Schmidt , »Ueber das Maha-Jana und Pradschna Paramita«.) Ein »Erkennen der Dinge an sich«, im strengsten Sinne des Worts, – wäre demnach schon darum unmöglich, weil wo das Wesen an sich der Dinge anfängt, das Erkennen wegfällt, und alle Erkenntniß schon grundwesentlich bloß auf Erscheinungen geht. Denn sie entspringt aus einer Beschränkung, durch welche sie nöthig gemacht wird, um die Schranken zu erweitern.
    Für die objektive Betrachtung ist das Gehirn die Efflorescenz des Organismus; daher erst wo dieser seine höchste Vollkommenheit und Komplikation erlangt hat, es in seiner größten Entwickelung auftritt. Den Organismus aber haben wir im vorhergehenden Kapitel als die Objektivation des Willens kennen gelernt: zu dieser muß daher auch das Gehirn, als sein Theil, gehören. Ferner habe ich daraus, daß der Organismus nur die Sichtbarkeit des Willens, also an sich dieser selbst ist, abgeleitet, daß jede Affektion des Organismus zugleich und unmittelbar den Willen afficirt, d.h. angenehm oder schmerzlich empfunden wird. Jedoch tritt, durch die Steigerung der Sensibilität, bei höherer Entwickelung des Nervensystems, die Möglichkeit ein, daß in den edleren, d.h. den objektiven Sinnesorganen (Gesicht, Gehör) die ihnen angemessenen, höchst zarten Affektionen empfunden werden, ohne an sich selbst und unmittelbar den Willen zu afficiren, d.h. ohne schmerzlich oder angenehm zu seyn, daß sie mithin als an sich gleichgültige, bloß wahrgenommene Empfindungen ins Bewußtsein treten. Im Gehirn erreicht nun aber diese Steigerung der Sensibilität einen so hohen Grad, daß auf empfangene Sinneseindrücke sogar eine Reaktion entsteht, welche nicht unmittelbar vom Willen ausgeht, sondern zunächst eine Spontaneität der Verstandesfunktion ist, als welche von der unmittelbar wahrgenommenen Sinnesempfindung den Uebergang zu deren Ursache macht, wodurch, indem dabei das Gehirn zugleich die Form des Raumes hervorbringt, die Anschauung eines äußern Objektes entsteht. Man kann daher den Punkt, wo von der Empfindung auf der Retina, welche noch eine bloße Affektion des Leibes und insofern des Willens ist, der Verstand den Uebergang macht zur Ursache jener Empfindung, die er mittelst seiner Form des Raumes als ein Aeußeres und von der eigenen Person Verschiedenes projicirt, – als die Gränze betrachten zwischen der Welt als Wille und der Welt als Vorstellung, oder auch als die Geburtsstätte dieser letzteren. Beim Menschen geht nun aber die, in letzter Instanz freilich doch vom Willen verliehene, Spontaneität der Gehirntätigkeit noch weiter, als zur bloßen Anschauung und unmittelbaren Auffassung der Kausalverhältnisse; nämlich bis zum Bilden abstrakter Begriffe aus jenen Anschauungen, und zum Operiren mit diesen, d.h. zum Denken , als worin seine Vernunft besteht. Die Gedanken sind daher von den Affektionen des Leibes, welche, weil dieser die Objektivation des Willens ist, selbst in den Sinnesorganen, durch Steigerung, sogleich in Schmerz übergehn können, am entferntesten. Vorstellung und Gedanke können, dem Gesagten zufolge, auch als die Efflorescenz des Willens angesehn werden, sofern sie aus der höchsten Vollendung und Steigerung des Organismus entspringen, dieser aber, an sich selbst und außerhalb der Vorstellung, der Wille ist. Allerdings setzt, in meiner Erklärung, das Daseyn des Leibes die Welt der Vorstellung voraus; sofern auch er, als Körper oder reales Objekt, nur in ihr ist: und andererseits setzt die Vorstellung selbst eben so sehr den Leib voraus; da sie nur durch die Funktion eines Organs desselben entsteht. Das der ganzen Erscheinung zum Grunde Liegende, das allein an sich selbst Seiende und Ursprüngliche darin, ist ausschließlich der Wille : denn er ist es, welcher, eben durch diesen Proceß, die Form der Vorstellung annimmt, d.h. in das sekundäre Daseyn einer gegenständlichen Welt, oder die Erkennbarkeit, eingeht. – Die Philosophen vor Kant , wenige ausgenommen, haben die

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