Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Nervensystem scheidet und dieses wieder sich zu dem überaus zusammengesetzten Apparat von großem und kleinem Gehirn, verlängertem und Rücken-Mark, Cerebral-und Spinal-Nerven, sensibeln und motorischen Nervenbündeln steigert, davon allein das große Gehirn, nebst den ihm anhängenden sensibeln Nerven und den hintern Spinalnervenbündeln zur Aufnahme der Motive aus der Außenwelt, alle übrigen Theile hingegen nur zur Transmission derselben an die Muskeln, in denen der Wille sich direkt äußert, bestimmt sind; in dem selben Maaße sondert sich im Bewußtseyn immer deutlicher das Motiv von dem Willensakt , den es hervorruft, also die Vorstellung vom Willen : dadurch nun nimmt die Objektivität des Bewußtseyns beständig zu, indem die Vorstellungen sich immer deutlicher und reiner darin darstellen. Beide Sonderungen sind aber eigentlich nur eine und die selbe, die wir hier von zwei Seiten betrachtet haben, nämlich von der objektiven und von der subjektiven, oder erst im Bewußtseyn anderer Dinge, und dann im Selbstbewußtseyn. Auf dem Grade dieser Sonderung beruht, im tiefsten Grunde, der Unterschied und die Stufenfolge der intellektuellen Fähigkeiten, sowohl zwischen verschiedenen Thierarten, als auch zwischen menschlichen Individuen: er giebt also das Maaß für die intellektuelle Vollkommenheit dieser Wesen. Denn die Klarheit des Bewußtseins der Außenwelt, die Objektivität der Anschauung, hängt von ihm ab. In der oben angeführten Stelle habe ich gezeigt, daß das Thier die Dinge nur so weit wahrnimmt, als sie Motive für seinen Willen sind, und daß selbst die intelligentesten Thiere diese Gränze kaum überschreiten; weil ihr Intellekt noch zu fest am Willen haftet, aus dem er entsprossen ist. Hingegen faßt selbst der stumpfeste Mensch die Dinge schon einigermaaßen objektiv auf, indem er in ihnen nicht bloß erkennt, was sie in Bezug auf ihn, sondern auch Einiges von Dem, was sie in Bezug auf sich selbst und auf andere Dinge sind. Jedoch bei den Wenigsten erreicht dies den Grad, daß sie im Stande wären, irgend eine Sache rein objektiv zu prüfen und zu beurtheilen: sondern »das muß ich thun, das muß ich sagen, das muß ich glauben« ist das Ziel, welchem, bei jedem Anlaß, ihr Denken in gerader Linie zueilt und woselbst ihr Verstand alsbald die willkommene Rast findet. Denn dem schwachen Kopf ist das Denken so unerträglich, wie dem schwachen Arm das Heben einer Last: daher Beide eilen niederzusetzen. Die Objektivität der Erkenntniß, und zunächst der anschauenden, hat unzählige Grade, die auf der Energie des Intellekts und seiner Sonderung vom Willen beruhen und deren höchster das Genie ist, als in welchem die Auffassung der Außenwelt so rein und objektiv wird, daß ihm in den einzelnen Dingen sogar mehr als diese selbst, nämlich das Wesen ihrer ganzen Gattung , d.i. die Platonische Idee derselben, sich unmittelbar aufschließt; welches dadurch bedingt ist, daß hiebei der Wille gänzlich aus dem Bewußtseyn schwindet. Hier ist der Punkt, wo sich die gegenwärtige, von physiologischen Grundlagen ausgehende Betrachtung an den Gegenstand unsers dritten Buches, also an die Metaphysik des Schönen anknüpft, woselbst die eigentlich ästhetische Auffassung, die im höhern Grade nur dem Genie eigenthümlich ist, als der Zustand des reinen, d.h. völlig willenlosen und eben dadurch vollkommen objektiven Erkennens ausführlich betrachtet wird. Dem Gesagten zufolge ist die Steigerung der Intelligenz, vom dumpfesten thierischen Bewußtseyn bis zu dem des Menschen, eine fortschreitende Ablösung des Intellekts vom Willen , welche vollkommen, wiewohl nur ausnahmsweise, im Genie eintritt: daher kann man dieses als den höchsten Grad der Objektivität des Erkennens definiren. Die so selten vorhandene Bedingung zu demselben ist ein entschieden größeres Maaß von Intelligenz, als zum Dienste des ihre Grundlage ausmachenden Willens erfordert ist: dieser demnach frei werdende Ueberschuß ist es erst, der recht eigentlich die Welt gewahr wird, d.h. sie vollkommen objektiv auffaßt und nun danach bildet, dichtet, denkt.
Kapitel 23.Ueber die Objektivation des Willens in der erkenntnißlosen Natur
Daß der Wille , welchen wir in unserm Innern finden, nicht, wie die bisherige Philosophie annahm, allererst aus der Erkenntniß hervorgeht, ja, eine bloße Modifikation dieser, also ein Sekundäres, Abgeleitetes und, wie die Erkenntniß selbst, durch das Gehirn Bedingtes sei; sondern daß er das Prius derselben,
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