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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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bedeutender Verlegenheit, bis denn auch hier, »wo die Begriffe fehlen, ein Wort zur rechten Zeit sich einstellt«, nämlich to threptikon , das Ernährungsvermögen: dies hätten die Pflanzen, also einen Theil der sogenannten Seele, nach seiner beliebten Eintheilung in anima vegetativa, sensitiva, et intellectiva . Das ist aber eben eine scholastische Quidditas und besagt: plantae nutriuntur, quia habent facultatem nutritivam ; ist mithin ein schlechter Ersatz für die tiefere Forschung seiner von ihm kritisirten Vorgänger. Auch sehn wir, im zweiten Kapitel, daß Empedokles sogar die Sexualität der Pflanzen erkannt hatte; welches Aristoteles denn ebenfalls bekrittelt, und seinen Mangel an eigentlicher Sachkenntniß hinter allgemeine Principien verbirgt, wie dieses, daß die Pflanzen nicht beide Geschlechter im Verein haben könnten, da sie sonst vollkommener, als die Thiere seyn würden. – Durch ein ganz analoges Verfahren hat er das richtige astronomische Weltsystem der Pythagoreer verdrängt und durch seine absurden Grundprincipien, die er besonders in den Büchern de coelo darlegt, das System des Ptolemäos veranlaßt, wodurch die Menschheit einer bereits gefundenen Wahrheit, von höchster Wichtigkeit, wieder auf fast 2000 Jahre verlustig ward.
    Aber den Ausspruch eines vortrefflichen Biologen unserer Zeit, der genau mit meiner Lehre übereinstimmt, kann ich mich nicht entbrechen herzusetzen. G. R. Treviranus ist es, der in seinem Werke »Ueber die Erscheinungen und Gesetze des organischen Lebens«, 1832, Bd. 2, Abth. 1, S. 49, Folgendes sagt: »Es läßt sich aber eine Form des Lebens denken, wobei die Wirkung des Aeußeren auf das Innere bloße Gefühle von Lust und Unlust, und in deren Folge Begehrungen veranlaßt. Eine solche ist das Pflanzenleben . In den höheren Formen des thierischen Lebens wird das Aeußere als etwas Objektives empfunden.« Treviranus spricht hier aus reiner und unbefangener Naturauffassung, und ist sich der metaphysischen Wichtigkeit seines Ausspruchs so wenig bewußt, wie der contradictio in adjecto , die im Begriff eines »als Objektives Empfundenen« liegt, welches er sogar noch weitläuftig ausführt. Er weiß nicht, daß alle Empfindung wesentlich subjektiv, alles Objektive aber Anschauung, mithin Produkt des Verstandes ist. Dies thut jedoch dem Wahren und Wichtigen seines Ausspruchs keinen Abbruch.
    In der That ist die Wahrheit, daß Wille auch ohne Erkenntniß bestehn könne, am Pflanzenleben augenscheinlich, man möchte sagen handgreiflich erkennbar. Denn hier sehn wir ein entschiedenes Streben, durch Bedürfnisse bestimmt, mannigfaltig modificirt und der Verschiedenheit der Umstände sich anpassend, – dennoch offenbar ohne Erkenntniß. – Und eben weil die Pflanze erkenntnißlos ist, trägt sie ihre Geschlechtstheile prunkend zur Schau, in gänzlicher Unschuld: sie weiß nichts davon. Sobald hingegen, in der Wesenreihe, die Erkenntniß eintritt, verlegen die Geschlechtstheile sich an eine verborgene Stelle. Der Mensch aber, bei welchem dies wieder weniger der Fall ist, verhüllt sich absichtlich: er schämt sich ihrer. –
    Zunächst nun also ist die Lebenskraft identisch mit dem Willen: allein auch alle andern Naturkräfte sind es; obgleich dies weniger augenfällig ist. Wenn wir daher die Anerkennung einer Begierde, d.h. eines Willens, als Basis des Pflanzenlebens , zu allen Zeiten, mit mehr oder weniger Deutlichkeit des Begriffs, ausgesprochen finden; so ist hingegen die Zurückführung der Kräfte der unorganischen Natur auf die selbe Grundlage in dem Maaße seltener, als die Entfernung dieser von unserm eigenen Wesen größer ist. – In der That ist die Gränze zwischen dem Organischen und dem Unorganischen die am schärfsten gezogene in der ganzen Natur und vielleicht die einzige, welche keine Uebergänge zuläßt; so daß das natura non facit saltus hier eine Ausnahme zu erleiden scheint. Wenn auch manche Krystallisationen eine der vegetabilischen ähnelnde äußere Gestalt zeigen; so bleibt doch selbst zwischen der geringsten Flechte, dem niedrigsten Schimmel, und allem Unorganischen ein grundwesentlicher Unterschied. Im unorganischen Körper ist das Wesentliche und Bleibende, also Das, worauf seine Identität und Integrität beruht, der Stoff, die Materie ; das Unwesentliche und Wandelbare hingegen ist die Form . Beim organischen Körper verhält es sich gerade umgekehrt: denn eben im beständigen Wechsel des Stoffs , unter dem Beharren der Form , besteht sein

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