Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Leben, d.h. sein Daseyn als eines Organischen. Sein Wesen und seine Identität liegt also allein in der Form . Daher hat der unorganische Körper seinen Bestand durch Ruhe und Abgeschlossenheit von äußern Einflüssen: hiebei allein erhält sich sein Daseyn, und, wenn dieser Zustand vollkommen ist, ist ein solcher Körper von endloser Dauer. Der organische hingegen hat seinen Bestand gerade durch die fortwährende Bewegung und stetes Empfangen äußerer Einflüsse: sobald diese wegfallen und die Bewegung in ihm stockt, ist er todt und hört damit auf organisch zu seyn, wenn auch die Spur des dagewesenen Organismus noch eine Weile beharrt. – Demnach ist auch das in unsern Tagen so beliebte Gerede vom Leben des Unorganischen, ja sogar des Erdkörpers, und daß dieser, wie auch das Planetensystem, ein Organismus sei, durchaus unstatthaft. Nur dem Organischen gebührt das Prädikat Leben. Jeder Organismus aber ist durch und durch organisch, ist es in allen seinen Theilen und nirgend sind diese, selbst nicht in ihren kleinsten Partikeln, aus Unorganischem aggregativ zusammengesetzt. Wäre also die Erde ein Organismus; so müßten alle Berge und Felsen und das ganze Innere ihrer Masse organisch seyn und demnach eigentlich gar nichts Unorganisches existiren, mithin der ganze Begriff desselben wegfallen.
Hingegen daß die Erscheinung eines Willens so wenig an das Leben und die Organisation, als an die Erkenntniß gebunden sei, mithin auch das Unorganische einen Willen habe, dessen Aeußerungen alle seine nicht weiter erklärlichen Grundeigenschaften sind, dies ist ein wesentlicher Punkt meiner Lehre; wenn gleich die Spur eines solchen Gedankens bei den mir vorhergegangenen Schriftstellern viel seltener zu finden ist, als die vom Willen in den Pflanzen, wo er doch auch schon erkenntnißlos ist.
Im Anschießen des Krystalls sehn wir gleichsam noch einen Ansatz, einen Versuch zum Leben, zu welchem es jedoch nicht kommt, weil die Flüssigkeit, aus der er, gleich einem Lebendigen, im Augenblick jener Bewegung besteht, nicht, wie stets bei diesem, in einer Haut eingeschlossen ist, und er demnach weder Gefäße hat, in denen jene Bewegung sich fortsetzen könnte, noch irgend etwas ihn von der Außenwelt absondert. Daher ergreift die Erstarrung alsbald jene augenblickliche Bewegung, von der nur die Spur als Krystall bleibt. –
Auch den » Wahlverwandtschaften « von Goethe liegt, wie schon der Titel andeutet, wenn gleich ihm unbewußt, der Gedanke zum Grunde, daß der Wille , der die Basis unsers eigenen Wesens ausmacht, der selbe ist, welcher sich schon in den niedrigsten, unorganischen Erscheinungen kund giebt, weshalb die Gesetzmäßigkeit beider Erscheinungen vollkommene Analogie zeigt.
Die Mechanik und Astronomie zeigen uns eigentlich, wie dieser Wille sich benimmt, so weit als er, auf der niedrigsten Stufe seiner Erscheinung, bloß als Schwere, Starrheit und Trägheit auftritt. Die Hydraulik zeigt uns das Selbe da, wo die Starrheit wegfällt, und nun der flüssige Stoff seiner vorherrschenden Leidenschaft, der Schwere, ungezügelt hingegeben ist. Die Hydraulik kann, in diesem Sinne, als eine Charakterschilderung des Wassers aufgefaßt werden, indem sie uns die Willensäußerungen angiebt, zu welchen dasselbe durch die Schwere bewogen wird: diese sind, da bei allen nichtindividuellen Wesen kein partikularer Charakter neben dem generellen besteht, den äußern Einflüssen stets genau angemessen, lassen sich also, durch Erfahrung dem Wasser abgemerkt, leicht auf feste Grundzüge, die man Gesetze nennt, zurückführen, welche genau angeben, wie das Wasser, vermöge seiner Schwere, bei unbedingter Verschiebbarkeit seiner Theile und Mangel der Elasticität, unter allen verschiedenen Umständen sich benehmen wird. Wie es durch die Schwere zur Ruhe gebracht wird, lehrt die Hydrostatik, wie zur Bewegung, die Hydrodynamik, die hiebei durch Hindernisse, welche die Adhäsion dem Willen des Wassers entgegensetzt, zu berücksichtigen hat: Beide zusammen machen die Hydraulik aus. – Eben so lehrt uns die Chemie , wie sich der Wille benimmt, wann die inneren Qualitäten der Stoffe, durch den herbeigeführten Zustand der Flüssigkeit, freies Spiel erhalten, und nun jenes wunderbare Suchen und Fliehen, sich Trennen und Vereinen, Fahrenlassen des Einen, um das Andere zu ergreifen, wovon jeder Niederschlag zeugt, auftritt, welches Alles man als Wahl verwandtschaft (einen ganz dem bewußten Willen entlehnten Ausdruck) bezeichnet. – Aber
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