Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
der Kern unsers Wesens und jener Urkraft selbst sei, welche den thierischen Leib schafft und erhält, indem sie die unbewußten, so gut wie die bewußten Funktionen desselben vollzieht; – dies ist der erste Schritt in der Grunderkenntniß meiner Metaphysik. So paradox es auch jetzt noch Vielen erscheint, daß der Wille an sich selbst ein Erkenntnißloses sei; so haben doch schon sogar die Scholastiker es irgendwie erkannt und eingesehn; da der in ihrer Philosophie durchaus bewanderte Jul. Cäs. Vaninus (jenes bekannte Opfer des Fanatismus und der Pfaffenwuth), in seinem Amphitheatro , p. 181 , sagt: Voluntas potentia coeca est, ex scholasticorum opinione . – Daß nun ferner jener selbe Wille es sei, welcher auch in der Pflanze die Gemme ansetzt, um Blatt oder Blume aus ihr zu entwickeln, ja, daß die regelmäßige Form des Krystalls nur die zurückgelassene Spur seines momentanen Strebens sei, daß er überhaupt, als das wahre und einzige automaton , im eigentlichen Sinne des Worts, auch allen Kräften der unorganischen Natur zum Grunde liege, in allen ihren mannigfaltigen Erscheinungen spiele, wirke, ihren Gesetzen die Macht verleihe, und selbst in der rohesten Masse sich noch als Schwere zu erkennen gebe; – diese Einsicht ist der zweite Schritt in jener Grunderkenntniß, und schon durch eine fernere Reflexion vermittelt. Das gröbste aller Mißverständnisse aber wäre es, zu meinen, daß es sich hiebei nur um ein Wort handle, eine unbekannte Größe damit zu bezeichnen: vielmehr ist es die realste aller Realerkenntnisse, welche hier zur Sprache gebracht wird. Denn es ist die Zurückführung jenes unserer unmittelbaren Erkenntniß ganz Unzugänglichen, daher uns im Wesentlichen Fremden und Unbekannten, welches wir mit dem Worte Naturkraft bezeichnen, auf das uns am genauesten und intimsten Bekannte, welches jedoch nur in unserm eigenen Wesen uns unmittelbar zugänglich ist; daher es von diesem aus auf die andern Erscheinungen übertragen werden muß. Es ist die Einsicht, daß das Innere und Ursprüngliche in allen, wenn gleich noch so verschiedenartigen Veränderungen und Bewegungen der Körper, dem Wesen nach, identisch ist; daß wir jedoch nur eine Gelegenheit haben, es näher und unmittelbar kennen zu lernen, nämlich in den Bewegungen unsers eigenen Leibes; in Folge welcher Erkenntniß wir es Wille nennen müssen. Es ist die Einsicht, daß was in der Natur wirkt und treibt und in immer vollkommeneren Erscheinungen sich darstellt, nachdem es sich so hoch emporgearbeitet hat, daß das Licht der Erkenntniß unmittelbar darauf fällt, – d.h. nachdem es bis zum Zustande des Selbstbewußtseyns gelangt ist, – nunmehr dasteht als jener Wille , der das uns am genauesten Bekannte und deshalb durch nichts Anderes ferner zu Erklärende ist, welches vielmehr zu allem Andern die Erklärung giebt. Er ist demnach das Ding an sich, so weit dieses von der Erkenntniß irgend erreicht werden kann. Folglich ist er Das, was in jedem Dinge auf der Welt, in irgend einer Weise, sich äußern muß: denn er ist das Wesen der Welt und der Kern aller Erscheinungen.
Da meine Abhandlung »Ueber den Willen in der Natur« dem Gegenstande dieses Kapitels ganz eigentlich gewidmet ist und auch die Zeugnisse unbefangener Empiriker für diesen Hauptpunkt meiner Lehre beibringt; so habe ich hier nur noch einige Ergänzungen zu dem dort Gesagten hinzuzufügen, welche daher etwas fragmentarisch sich an einander reihen.
Zuvörderst also, in Hinsicht auf das Pflanzenleben, mache ich auf die merkwürdigen zwei ersten Kapitel der Abhandlung des Aristoteles über die Pflanzen aufmerksam. Das Interessanteste darin sind, wie so oft im Aristoteles, die von ihm angeführten Meinungen der früheren, tiefsinnigeren Philosophen. Da sehn wir, daß Anaxagoras und Empedokles ganz richtig gelehrt haben, die Pflanzen hätten die Bewegung ihres Wachsthums vermöge der ihnen einwohnenden Begierde ( epithymia ); ja, daß sie ihnen auch Freude und Schmerz, mithin Empfindung, beilegten; Plato aber die Begierde allein ihnen zuerkannte, und zwar wegen ihres starken Nahrungstriebes (vergl. Plato im Timäos, S. 403, Bip.). Aristoteles hingegen, seiner gewöhnlichen Methode getreu, gleitet auf der Oberfläche der Dinge hin, hält sich an vereinzelte Merkmale und durch gangbare Ausdrücke fixirte Begriffe, behauptet, daß ohne Empfindung keine Begierde seyn könne, jene aber hätten doch die Pflanzen nicht, ist indessen, wie sein konfuses Gerede bezeugt, in
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