Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
Vom Netzwerk:
die Anatomie und Physiologie läßt uns sehn, wie sich der Wille benimmt, um das Phänomen des Lebens zu Stande zu bringen und eine Weile zu unterhalten. – Der Poet endlich zeigt uns, wie sich der Wille unter dem Einfluß der Motive und der Reflexion benimmt. Er stellt ihn daher meistens in der vollkommensten seiner Erscheinungen dar, in vernünftigen Wesen, deren Charakter individuell ist, und deren Handeln und Leiden gegen einander er uns als Drama, Epos, Roman u.s.w. vorführt. Je regelrechter, je streng naturgesetzmäßiger die Darstellung seiner Charaktere dabei ausfällt, desto größer ist sein Ruhm; daher steht Shakespeare obenan. – Der hier gefaßte Gesichtspunkt entspricht im Grunde dem Geist, in welchem Goethe die Naturwissenschaften trieb und liebte; wiewohl er sich der Sache nicht in abstracto bewußt war. Mehr noch, als dies aus seinen Schriften hervorgeht, ist es mir aus seinen persönlichen Aeußerungen bewußt.
    Wenn wir den Willen da, wo ihn Niemand leugnet, also in den erkennenden Wesen, betrachten; so finden wir überall, als seine Grundbestrebung, die Selbsterhaltung eines jeden Wesens: omnis natura vult esse conservatrix sui . Alle Aeußerungen dieser Grundbestrebung aber lassen sich stets zurückführen auf ein Suchen, oder Verfolgen, und ein Meiden, oder Fliehen, je nach dem Anlaß. Nun läßt eben Dieses sich noch nachweisen sogar auf der allerniedrigsten Stufe der Natur, also der Objektivation des Willens, d a nämlich, wo die Körper nur noch als Körper überhaupt wirken, also Gegenstände der Mechanik sind, und bloß nach den Aeußerungen der Undurchdringlichkeit, Kohäsion, Starrheit, Elasticität und Schwere in Betracht kommen. Auch hier noch zeigt sich das Suchen als Gravitation, das Fliehen aber als Empfangen von Bewegung, und die Beweglichkeit der Körper durch Druck oder Stoß, welche die Basis der Mechanik ausmacht, ist im Grunde eine Aeußerung des auch ihnen einwohnenden Strebens nach Selbsterhaltung . Dieselbe nämlich ist, da sie als Körper undurchdringlich sind, das einzige Mittel, ihre Kohäsion, also ihren jedesmaligen Bestand, zu retten. Der gestoßene oder gedrückte Körper würde von dem stoßenden oder drückenden zermalmt werden, wenn er nicht, um seine Kohäsion zu retten, der Gewalt desselben sich durch die Flucht entzöge, und wo diese ihm benommen ist, geschieht es wirklich. Ja, man kann die elastischen Körper als die muthigeren betrachten, welche den Feind zurückzutreiben suchen, oder wenigstens ihm die weitere Verfolgung benehmen. So sehn wir denn in dem einzigen Geheimniß, welches (neben der Schwere) die so klare Mechanik übrig läßt, nämlich in der Mittheilbarkeit der Bewegung, eine Aeußerung der Grundbestrebung des Willens in allen seinen Erscheinungen, also des Triebes zur Selbsterhaltung, der als das Wesentliche sich auch noch auf der untersten Stufe erkennen läßt.
    In der unorganischen Natur objektivirt der Wille sich zunächst in den allgemeinen Kräften, und erst mittelst dieser in den durch Ursachen hervorgerufenen Phänomenen der einzelnen Dinge. Das Verhältniß zwischen Ursache, Naturkraft und Willen als Ding an sich habe ich § 26 des ersten Bandes hinlänglich auseinandergesetzt. Man sieht daraus, daß die Metaphysik den Gang der Physik nie unterbricht, sondern nur den Faden da aufnimmt, wo diese ihn liegen läßt, nämlich bei den ursprünglichen Kräften, an welchen alle Kausalerklärung ihre Gränze hat. Hier erst hebt die metaphysische Erklärung aus dem Willen als Dinge an sich an. Bei jedem physischen Phänomen, jeder Veränderung materieller Dinge, ist zunächst ihre Ursache nachzuweisen, die eine eben solche einzelne, dicht zuvor eingetretene Veränderung ist; dann aber die ursprüngliche Naturkraft , vermöge welcher diese Ursache zu wirken fähig war; und allererst als das Wesen an sich dieser Kraft, im Gegensatz ihrer Erscheinung, ist der Wille zu erkennen. Dennoch giebt dieser sich eben so unmittelbar im Fallen eines Steines kund, wie im Thun des Menschen: der Unterschied ist nur, daß seine einzelne Aeußerung hier durch ein Motiv, dort durch eine mechanisch wirkende Ursache, z.B. die Wegnahme seiner Stütze, hervorgerufen wird, jedoch in beiden Fällen mit gleicher Nothwendigkeit, und daß sie dort auf einem individuellen Charakter, hier auf einer allgemeinen Naturkraft beruht. Diese Identität des Grundwesentlichen wird sogar sinnenfällig, wenn wir etwan einen aus dem Gleichgewicht gebrachten Körper, der vermöge

Weitere Kostenlose Bücher