Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
reißend: und dann wieder werfe man einen Blick auf den entsetzlichen Allarm und wilden Aufruhr desselben, wann er in irgend einer einzelnen Erscheinung aus dem Daseyn weichen soll; zumal wo dieses bei deutlichem Bewußtseyn eintritt. Da ist es nicht anders, als ob in dieser einzigen Erscheinung die ganze Welt auf immer vernichtet werden sollte, und das ganze Wesen eines so bedrohten Lebenden verwandelt sich sofort in das verzweifelteste Sträuben und Wehren gegen den Tod. Man sehe z.B. die unglaubliche Angst eines Menschen in Lebensgefahr, die schnelle und so ernstliche Theilnahme jedes Zeugen derselben und den gränzenlosen Jubel nach der Rettung. Man sehe das starre Entsetzen, mit welchem ein Todesurtheil vernommen wird, das tiefe Grausen, mit welchem wir die Anstalten zu dessen Vollziehung erblicken, und das herzzerreißende Mitleid, welches uns bei dieser selbst ergreift. Da sollte man glauben, daß es sich um etwas ganz Anderes handelte, als bloß um einige Jahre weniger einer leeren, traurigen, durch Plagen jeder Art verbitterten und stets Ungewissen Existenz; vielmehr müßte man denken, daß Wunder was daran gelegen sei, ob Einer etliche Jahre früher dahin gelangt, wo er, nach einer ephemeren Existenz, Billionen Jahre zu seyn hat. – An solchen Erscheinungen also wird sichtbar, daß ich mit Recht als das nicht weiter Erklärliche, sondern jeder Erklärung zum Grunde zu Legende, den Willen zum Leben gesetzt habe, und daß dieser, weit entfernt, wie das Absolutum, das Unendliche, die Idee und ähnliche Ausdrücke mehr, ein leerer Wortschall zu seyn, das Allerrealste ist, was wir kennen, ja, der Kern der Realität selbst.
Wenn wir nun aber, von dieser aus unserm Innern geschöpften Interpretation einstweilen abstrahirend, uns der Natur fremd gegenüberstellen, um sie objektiv zu erfassen; so finden wir, daß sie, von der Stufe des organischen Lebens an, nur eine Absicht hat: die der Erhaltung aller Gattungen. Auf diese arbeitet sie hin, durch die unermeßliche Ueberzahl von Keimen, durch die dringende Heftigkeit des Geschlechtstriebes, durch dessen Bereitwilligkeit sich allen Umständen und Gelegenheiten anzupassen, bis zur Bastarderzeugung, und durch die instinktive Mutterliebe, deren Stärke so groß ist, daß sie, in vielen Thierarten, die Selbstliebe überwiegt, so daß die Mutter ihr Leben opfert, um das des Jungen zu retten. Das Individuum hingegen hat für die Natur nur einen indirekten Werth, nämlich nur sofern es das Mittel ist, die Gattung zu erhalten. Außerdem ist ihr sein Daseyn gleichgültig, ja, sie selbst führt es dem Untergang entgegen, sobald es aufhört zu jenem Zwecke tauglich zu seyn. Wozu das Individuum dasei, wäre also deutlich: aber wozu die Gattung selbst? dies ist eine Frage, auf welche die bloß objektiv betrachtete Natur die Antwort schuldig bleibt. Denn vergeblich sucht man, bei ihrem Anblick, von diesem rastlosen Treiben, diesem ungestümen Drängen ins Daseyn, dieser ängstlichen Sorgfalt für die Erhaltung der Gattungen, einen Zweck zu entdecken. Die Kräfte und die Zeit der Individuen gehn auf in der Anstrengung für ihren und ihrer Jungen Unterhalt, und reichen nur knapp, bisweilen selbst gar nicht dazu aus. Wenn aber auch hier und da ein Mal ein Ueberschuß von Kraft und dadurch von Wohlbehagen – bei der einen vernünftigen Gattung, auch wohl von Erkenntniß – bleibt; so ist dies viel zu unbedeutend, um für den Zweck jenes ganzen Treibens der Natur gelten zu können. – Die ganze Sache so rein objektiv und sogar fremd ins Auge gefaßt, sieht es gerade aus, als ob der Natur bloß daran gelegen wäre, daß von allen ihren (Platonischen) Ideen , d.i. permanenten Formen, keine verloren gehn möge: danach hätte sie in der glücklichen Erfindung und Aneinanderfügung dieser Ideen (zu der die drei vorhergegangenen Thierbevölkerungen der Erdoberfläche die Vorübung gewesen) sich selber so gänzlich genug gethan, daß jetzt ihre einzige Besorgniß wäre, es könne irgend einer dieser schönen Einfälle verloren gehn, d.i. irgend eine jener Formen könne aus der Zeit und Kausalreihe verschwinden. Denn die Individuen sind flüchtig, wie das Wasser im Bach, die Ideen hingegen beharrend, wie dessen Strudel: nur das Versiegen des Wassers würde auch sie vernichten. – Bei dieser räthselhaften Ansicht müßten wir stehn bleiben, wenn die Natur uns allein von außen, also bloß objektiv gegeben wäre, und wir sie, wie sie von der Erkenntniß aufgefaßt wird, auch als aus der
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