Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Futter und Begattung: also nur die Mittel, die selbe traurige Bahn fortzusetzen und wieder anzufangen, im neuen Individuo. An solchen Beispielen wird es deutlich, daß zwischen den Mühen und Plagen des Lebens und dem Ertrag oder Gewinn desselben kein Verhältniß ist. Dem Leben der sehenden Thiere giebt das Bewußtseyn der anschaulichen Welt, obwohl es bei ihnen durchaus subjektiv und auf die Einwirkung der Motive beschränkt ist, doch einen Schein von objektivem Werth des Daseyns. Aber der blinde Maulwurf, mit seiner so vollkommenen Organisation und seiner rastlosen Thätigkeit, auf den Wechsel von Insektenlarven und Hungern beschränkt, macht die Unangemessenheit der Mittel zum Zweck augenscheinlich. – In dieser Hinsicht ist auch die Betrachtung der sich selber überlassenen Thierwelt, in menschenleeren Ländern, besonders belehrend. Ein schönes Bild einer solchen und der Leiden, welche ihr, ohne Zuthun des Menschen, die Natur selbst bereitet, giebt Humboldt in seinen »Ansichten der Natur«, zweite Auflage, S. 30 fg.: auch unterläßt er nicht, S. 44, auf das analoge Leiden des mit sich selbst allezeit und überall entzweiten Menschengeschlechts einen Blick zu werfen. Jedoch wird am einfachen, leicht übersehbaren Leben der Thiere die Nichtigkeit und Vergeblichkeit des Strebens der ganzen Erscheinung leichter faßlich. Die Mannigfaltigkeit der Organisationen, die Künstlichkeit der Mittel, wodurch jede ihrem Element und ihrem Raube angepaßt ist, kontrastirt hier deutlich mit dem Mangel irgend eines haltbaren Endzweckes; statt dessen sich nur augenblickliches Behagen, flüchtiger, durch Mangel bedingter Genuß, vieles und langes Leiden, beständiger Kampf, bellum omnium , Jedes ein Jäger und Jedes gejagt, Gedränge, Mangel, Noth und Angst, Geschrei und Geheul darstellt: und das geht so fort, in secula seculorum , oder bis ein Mal wieder die Rinde des Planeten bricht. Junghuhn erzählt, daß er auf Java ein unabsehbares Feld ganz mit Gerippen bedeckt erblickt und für ein Schlachtfeld gehalten habe: es waren jedoch lauter Gerippe großer, fünf Fuß langer, drei Fuß breiter und eben so hoher Schildkröten, welche, um ihre Eier zu legen, vom Meere aus, dieses Weges gehn und dann von wilden Hunden (Canis rutilans) angepackt werden, die, mit vereinten Kräften sie auf den Rücken legen, ihnen den untern Harnisch, also die kleinen Schilder des Bauches, aufreißen und so sie lebendig verzehren. Oft aber fällt alsdann über die Hunde ein Tiger her. Dieser ganze Jammer nun wiederholt sich tausend und aber tausend Mal, Jahr aus Jahr ein. Dazu werden also diese Schildkröten geboren. Für welche Verschuldung müssen sie diese Quaal leiden? Wozu die ganze Gräuelscene? Darauf ist die alleinige Antwort: so objektivirt sich der Wille zum Leben A6 . Man betrachte ihn wohl und fasse ihn auf, in allen seinen Objektivationen: dann wird man zum Verständniß seines Wesens und der Welt gelangen; nicht aber wenn man allgemeine Begriffe konstruirt und daraus Kartenhäuser baut. Die Auffassung des großen Schauspiels der Objektivation des Willens zum Leben und die Charakteristik seines Wesens erfordert freilich etwas genauere Betrachtung und größere Ausführlichkeit, als die Abfertigung der Welt dadurch, daß man ihr den Titel Gott beilegt, oder, mit einer Niaiserie, wie sie nur das Deutsche Vaterland darbietet und zu genießen weiß, erklärt, es sei die »Idee in ihrem Andersseyn«, – woran die Pinsel meiner Zeit zwanzig Jahre hindurch ihr unsägliches Genügen gefunden haben. Freilich, nach dem Pantheismus oder Spinozismus, dessen bloße Travestien jene Systeme unsers Jahrhunderts sind, haspelt das Alles sich wirklich ohne Ende, die Ewigkeit hindurch so fort. Denn da ist die Welt ein Gott, ens perfectissimum : d.h. es kann nichts Besseres geben, noch gedacht werden. Also bedarf es keiner Erlösung daraus; folglich giebt es keine. Wozu aber die ganze Tragikomödie dasei, ist nicht entfernt abzusehn; da sie keine Zuschauer hat und die Akteurs selbst unendliche Plage ausstehn, bei wenigem und bloß negativem Genuß.
Nehmen wir jetzt noch die Betrachtung des Menschengeschlechts hinzu; so wird die Sache zwar komplicirter und erhält einen gewissen ernsten Anstrich: doch bleibt der Grundcharakter unverändert. Auch hier stellt das Leben sich keineswegs dar als ein Geschenk zum Genießen, sondern als eine Aufgabe, ein Pensum zum Abarbeiten, und dem entsprechend sehn wir, im Großen wie im Kleinen, allgemeine Noth, rastloses
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