Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Grundansichten verschroben, ihr, mit abergläubischer Furcht, schon von Weitem aus dem Wege eilt. Die entgegengesetzte Annahme aber, daß die Geburt eines Thieres eine Entstehung aus nichts, und dem entsprechend sein Tod seine absolute Vernichtung sei, und Dies noch mit der Zugabe, daß der Mensch, eben so aus nichts geworden, dennoch eine individuelle, endlose Fortdauer und zwar mit Bewußtseyn habe, während der Hund, der Affe, der Elephant durch den Tod vernichtet würden, – ist denn doch wohl etwas, wogegen der gesunde Sinn sich empören und es für absurd erklären muß. – Wenn, wie zur Genüge wiederholt wird, die Vergleichung der Resultate eines Systems mit den Aussprüchen des gesunden Menschenverstandes ein Probirstein seiner Wahrheit seyn soll; so wünsche ich, daß die Anhänger jener von Cartesius bis auf die vorkantischen Eklektiker herabgeerbten, ja wohl auch jetzt noch bei einer großen Anzahl der Gebildeten in Europa herrschenden Grundansicht, ein Mal hier diesen Probirstein anlegen mögen.
Durchgängig und überall ist das ächte Symbol der Natur der Kreis, weil er das Schema der Wiederkehr ist: diese ist in der That die allgemeinste Form in der Natur, welche sie in Allem durchführt, vom Laufe der Gestirne an, bis zum Tod und der Entstehung organischer Wesen, und wodurch allein in dem rastlosen Strohm der Zeit und ihres Inhalts doch ein bestehendes Daseyn, d.i. eine Natur, möglich wird.
Wenn man im Herbst die kleine Welt der Insekten betrachtet und nun sieht, wie das eine sich sein Bett bereitet, um zu schlafen, den langen, erstarrenden Winterschlaf; das andere sich einspinnt, um als Puppe zu überwintern und einst, im Frühling, verjüngt und vervollkommnet zu erwachen; endlich die meisten, als welche ihre Ruhe in den Armen des Todes zu halten gedenken, bloß ihrem Ei sorgfältig die geeignete Lagerstätte anpassen, um einst aus diesem erneuet hervorzugehn; – so ist dies die große Unsterblichkeitslehre der Natur, welche uns beibringen möchte, daß zwischen Schlaf und Tod kein radikaler Unterschied ist, sondern der Eine so wenig wie der Andere das Daseyn gefährdet. Die Sorgfalt, mit der das Insekt eine Zelle, oder Grube, oder Nest bereitet, sein Ei hineinlegt, nebst Futter für die im kommenden Frühling daraus hervorgehende Larve, und dann ruhig stirbt, – gleicht ganz der Sorgfalt, mit der ein Mensch am Abend sein Kleid und sein Frühstück für den kommenden Morgen bereit legt und dann ruhig schlafen geht, – und könnte im Grunde gar nicht Statt haben, wenn nicht, an sich und seinem wahren Wesen nach, das im Herbste sterbende Insekt mit dem im Frühling auskriechenden eben so wohl identisch wäre, wie der sich schlafen legende Mensch mit dem aufstehenden.
Wenn wir nun, nach diesen Betrachtungen, zu uns selbst und unserm Geschlechte zurückkehren und dann den Blick vorwärts, weit hinaus in die Zukunft werfen, die künftigen Generationen, mit den Millionen ihrer Individuen, in der fremden Gestalt ihrer Sitten und Trachten uns zu vergegenwärtigen suchen, dann aber mit der Frage dazwischenfahren: Woher werden diese Alle kommen? Wo sind sie jetzt? – Wo ist der reiche Schooß des weltenschwangeren Nichts, der sie noch birgt, die kommenden Geschlechter? – Wäre darauf nicht die lächelnde und wahre Antwort: Wo anders sollen sie seyn, als dort, wo allein das Reale stets war und seyn wird, in der Gegenwart und ihrem Inhalt, also bei Dir, dem bethörten Präger, der, in diesem Verkennen seines eigenen Wesens, dem Blatte am Baume gleicht, welches im Herbste welkend und im Begriff abzufallen, jammert über seinen Untergang und sich nicht trösten lassen will durch den Hinblick auf das frische Grün, welches im Frühling den Baum bekleiden wird, sondern klagend spricht: »Das bin ja Ich nicht! Das sind ganz andere Blätter!« – O thörichtes Blatt! Wohin willst du? Und woher sollen andere kommen? Wo ist das Nichts, dessen Schlund du fürchtest? – Erkenne doch dein eigenes Wesen, gerade Das, was vom Durst nach Daseyn so erfüllt ist, erkenne es wieder in der innern, geheimen, treibenden Kraft des Baumes, welche, stets eine und die selbe in allen Generationen von Blättern, unberührt bleibt vom Entstehn und Vergehn. Und nun
hoiê per phyllôn geneê, toiêde kai andrôn .
(Qualis foliorum generatio, talis et hominum.)
Ob die Fliege, die jetzt um mich summt, am Abend einschläft und morgen wieder summt; oder ob sie am Abend stirbt, und im Frühjahr, aus ihrem Ei erstanden, eine
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