Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
ist durch alle Zeit eigentlich der selbe. Die Unmöglichkeit, diese Identität unmittelbar zu erkennen, ist eben die Zeit , eine Form und Schranke unsers Intellekts. Daß, vermöge derselben, z.B. das Zukünftige noch nicht ist, beruht auf einer Täuschung, welcher wir inne werden, wann es gekommen ist. Daß die wesentliche Form unsers Intellekts eine solche Täuschung herbeiführt, erklärt und rechtfertigt sich daraus, daß der Intellekt keineswegs zum Auffassen des Wesens der Dinge, sondern bloß zu dem der Motive, also zum Dienst einer individuellen und zeitlichen Willenserscheinung, aus den Händen der Natur hervorgegangen ist A8 .
Wenn man die uns hier beschäftigenden Betrachtungen zusammenfaßt, wird man auch den wahren Sinn der paradoxen Lehre der Eleaten verstehn, daß es gar kein Entstehn und Vergehn gebe, sondern das Ganze unbeweglich feststehe: (Parmenides et Melissus ortum et interitum tollebant, quoniam nihil moveri putabant. Stob. Ecl., I, 21). Imgleichen erhält hier auch die schöne Stelle des Empedokles Licht, welche Plutarch uns aufbehalten hat, im Buche Adversus Coloten, c. 12:
Nêpioi; ou gar sphin dolichophrones eisi merimnai,
Hoi dê ginesthai paros ouk eon elpizousi,
Hê ti katathnêskein kai exollysthai hapantê.
Ouk an anêr toiauta sophos phresi manteusaito,
Hôs ophra men te biôsi (to dê bioton kaleousi),
Tophra men oun eisin, kai sphin para deina kai esthla,
Prin te pagen te brotoi, kai epei lythen, ouden ar' eisin .
(Stulta, et prolixas non admittentia curas
Pectora: qui sperant, existere posse, quod ante
Non fuit, aut ullam rem pessum protinus ire; –
Non animo prudens homo quod praesentiat ullus ,
Dum vivunt (namque hoc vitaï nomine signant) ,
Sunt, et fortuna tum conflictantur utraque:
Ante ortum nihil est homo, nec post funera quidquam.)
Nicht weniger verdient hier erwähnt zu werden die so höchst merkwürdige und an ihrem Ort überraschende Stelle in Diderot's Jacques le fataliste: un château immense, au frontispice duquel on lisait: »Je n'appartiens à personne, et j'appartiens à tout le monde: vous y étiez avant que d'y entrer, vous y serez encore, quand vous en sortirez. «
In dem Sinne freilich, in welchem der Mensch bei der Zeugung aus nichts entsteht, wird er durch den Tod zu nichts. Dieses Nichts aber so ganz eigentlich kennen zu lernen, wäre sehr interessant; da nur mittelmäßiger Scharfsinn erfordert ist, einzusehn, daß dieses empirische Nichts keineswegs ein absolutes ist, d.h. ein solches, welches in jedem Sinne nichts wäre. Auf diese Einsicht leitet schon die empirische Bemerkung hin, daß alle Eigenschaften der Eltern sich im Erzeugten wiederfinden, also den Tod überstanden haben. Hievon werde ich jedoch in einem eigenen Kapital reden.
Es giebt keinen größern Kontrast, als den zwischen der unaufhaltsamen Flucht der Zeit, die ihren ganzen Inhalt mit sich fortreißt, und der starren Unbeweglichkeit des wirklich Vorhandenen, welches zu allen Zeiten das eine und selbe ist. Und faßt man, von diesem Gesichtspunkt aus, die unmittelbaren Vorgänge des Lebens recht objektiv ins Auge; so wird Einem das Nunc stans im Mittelpunkt des Rades der Zeit klar und sichtbar. – Einem unvergleichlich länger lebenden Auge, welches mit einem Blick das Menschengeschlecht, in seiner ganzen Dauer, umfaßte, würde der stete Wechsel von Geburt und Tod sich nur darstellen wie eine anhaltende Vibration, und demnach ihm gar nicht einfallen, darin ein stets neues Werden aus Nichts zu Nichts zu sehn; sondern ihm würde, gleichwie unserm Blick der schnell gedrehte Funke als bleibender Kreis, die schnell vibrirende Feder als beharrendes Dreieck, die schwingende Saite als Spindel erscheint, die Gattung als das Seiende und Bleibende erscheinen, Tod und Geburt als Vibrationen.
Von der Unzerstörbarkeit unsers wahren Wesens durch den Tod werden wir so lange falsche Begriffe haben, als wir uns nicht entschließen, sie zuvörderst an den Thieren zu studiren, sondern eine aparte Art derselben, unter dem prahlerischen Namen der Unsterblichkeit, uns allein anmaaßen. Diese Anmaaßung aber und die Beschränktheit der Ansicht, aus der sie hervorgeht, ist es ganz allein, weswegen die meisten Menschen sich so hartnäckig dagegen sträuben, die am Tage liegende Wahrheit anzuerkennen, daß wir, dem Wesentlichen nach und in der Hauptsache, das Selbe sind wie die Thiere; ja, daß sie vor jeder Andeutung unserer Verwandtschaft mit diesen zurückbeben. Diese Verleugnung der
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