Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Wahrheit aber ist es, welche mehr als alles Andere ihnen den Weg versperrt zur wirklichen Erkenntniß der Unzerstörbarkeit unsers Wesens. Denn wenn man etwas auf einem falschen Wege sucht; so hat man eben deshalb den rechten verlassen und wird auf jenem am Ende nie etwas Anderes erreichen, als späte Enttäuschung. Also frisch weg, nicht nach vorgefaßten Grillen, sondern an der Hand der Natur, die Wahrheit verfolgt! Zuvörderst lerne man beim Anblick jedes jungen Thieres das nie alternde Daseyn der Gattung erkennen, welche, als einen Abglanz ihrer ewigen Jugend, jedem neuen Individuo eine zeitliche schenkt, und es auftreten läßt, so neu, so frisch, als wäre die Welt von heute. Man frage sich ehrlich, ob die Schwalbe des heurigen Frühlings eine ganz und gar andere, als die des ersten sei, und ob wirklich zwischen beiden das Wunder der Schöpfung aus Nichts sich Millionen Mal erneuert habe, um eben so oft absoluter Vernichtung in die Hände zu arbeiten.- Ich weiß wohl, daß, wenn ich Einen ernsthaft versicherte, die Katze, welche eben jetzt auf dem Hofe spielt, sei noch die selbe, welche dort vor dreihundert Jahren die nämlichen Sprünge und Schliche gemacht hat, er mich für toll halten würde; aber ich weiß auch, daß es sehr viel toller ist, zu glauben, die heutige Katze sei durch und durch und von Grund aus eine ganz andere, als jene vor dreihundert Jahren. – Man braucht sich nur treu und ernst in den Anblick eines dieser obern Wirbelthiere zu vertiefen, um deutlich inne zu werden, daß dieses unergründliche Wesen, wie es daist, im Ganzen genommen, unmöglich zu Nichts werden kann: und doch kennt man andererseits seine Vergänglichkeit. Dies beruht darauf, daß in diesem Thiere die Ewigkeit seiner Idee (Gattung) in der Endlichkeit des Individui ausgeprägt ist. Denn in gewissem Sinne ist es allerdings wahr, daß wir im Individuo stets ein anderes Wesen vor uns haben, nämlich in dem Sinne, der auf dem Satz vom Grunde beruht, unter welchem auch Zeit und Raum begriffen sind, welche das principium individuationis ausmachen. In einem andern Sinne aber ist es nicht wahr, nämlich in dem, in welchem die Realität allein den bleibenden Formen der Dinge, den Ideen zukommt, und welcher dem Plato so klar eingeleuchtet hatte, daß derselbe sein Grundgedanke, das Centrum seiner Philosophie, und die Auffassung desselben sein Kriterium der Befähigung zum Philosophiren überhaupt wurde.
Wie die zerstäubenden Tropfen des tobenden Wasserfalls mit Blitzesschnelle wechseln, während der Regenbogen, dessen Träger sie sind, in unbeweglicher Ruhe fest steht, ganz unberührt von jenem rastlosen Wechsel; so bleibt jede Idee , d.i. jede Gattung lebender Wesen, ganz unberührt vom fortwährenden Wechsel ihrer Individuen. Die Idee aber, oder die Gattung, ist es, darin der Wille zum Leben eigentlich wurzelt und sich manifestirt: daher auch ist an ihrem Bestand allein ihm wahrhaft gelegen. Z.B. die Löwen, welche geboren werden und sterben, sind wie die Tropfen des Wasserfalls; aber die leonitas , die Idee , oder Gestalt, des Löwen, gleicht dem unerschütterten Regenbogen darauf. Darum also legte Plato den Ideen allein, d.i. den species , den Gattungen, ein eigentliches Seyn bei, den Individuen nur ein rastloses Entstehn und Vergehn. Aus dem tiefinnersten Bewußtseyn seiner Unvergänglichkeit entspringt eigentlich auch die Sicherheit und Gemüthsruhe, mit der jedes thierische und auch das menschliche Individuum unbesorgt dahin wandelt zwischen einem Heer von Zufällen, die es jeden Augenblick vernichten können, und überdies dem Tod gerade entgegen: aus seinen Augen blickt inzwischen die Ruhe der Gattung, als welche jener Untergang nicht anficht und nicht angeht. Auch dem Menschen könnten diese Ruhe die unsichern und wechselnden Dogmen nicht verleihen. Aber, wie gesagt, der Anblick jedes Thieres lehrt, daß dem Kern des Lebens, dem Willen, in seiner Manifestation der Tod nicht hinderlich ist. Welch ein unergründliches Mysterium liegt doch in jedem Thiere! Seht das nächste, seht euern Hund an: wie wohlgemuth und ruhig er dasteht! Viele Tausende von Hunden haben sterben müssen, ehe es an diesen kam, zu leben. Aber der Untergang jener Tausende hat die Idee des Hundes nicht angefochten: sie ist durch alles jenes Sterben nicht im Mindesten getrübt worden. Daher steht der Hund so frisch und urkräftig da, als wäre dieser Tag sein erster und könne keiner sein letzter seyn, und aus seinen Augen leuchtet das unzerstörbare
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