Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
ähnliche Unmöglichkeiten mehr zu denken. Statt des Beabsichtigten dringt sich uns dabei das Gefühl auf, daß die Welt nicht weniger in uns ist, als wir in ihr, und daß die Quelle aller Realität in unserm Innern liegt. Das Resultat ist eigentlich dieses: die Zeit, da ich nicht seyn werde, wird objektiv kommen; aber subjektiv kann sie nie kommen. – Es ließe daher sich sogar fragen, wie weit denn Jeder, in seinem Herzen, wirklich an eine Sache glaube, die er sich eigentlich gar nicht denken kann; oder ob nicht vielleicht gar, da sich zu jenem bloß intellektuellen, aber mehr oder minder deutlich von Jedem schon gemachten Experiment, noch das tiefinnere Bewußtseyn der Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich gesellt, der eigene Tod uns im Grunde die fabelhafteste Sache von der Welt sei.
Die tiefe Ueberzeugung von unserer Unvertilgbarkeit durch den Tod, welche, wie auch die unausbleiblichen Gewissenssorgen bei Annäherung desselben bezeugen, Jeder im Grunde seines Herzens trägt, hängt durchaus an dem Bewußtseyn unserer Ursprünglichkeit und Ewigkeit; daher Spinoza sie so ausdrückt: sentimus, experimurque, nos aeternos esse . Denn als unvergänglich kann ein vernünftiger Mensch sich nur denken, sofern er sich als anfangslos, als ewig, eigentlich als zeitlos denkt. Wer hingegen sich für aus Nichts geworden hält, muß auch denken, daß er wieder zu Nichts wird: denn daß eine Unendlichkeit verstrichen wäre, ehe er war, dann aber eine zweite angefangen habe, welche hindurch er nie aufhören wird zu seyn, ist ein monstroser Gedanke. Wirklich ist der solideste Grund für unsere Unvergänglichkeit der alte Satz: Ex nihilo nihil fit, et in nihilum nihil potest reverti . Ganz treffend sagt daher Theophrastus Paracelsus (Werke, Strasburg 1603, Bd. 2, S. 6): »Die Seel in mir ist aus Etwas geworden; darum sie nicht zu Nichts kommt: denn aus Etwas kommt sie.« Er giebt den wahren Grund an. Wer aber die Geburt des Menschen für dessen absoluten Anfang hält, dem muß der Tod das absolute Ende desselben seyn. Denn Beide sind was sie sind in gleichem Sinne: folglich kann Jeder sich nur insofern als unsterblich denken, als er sich auch als ungeboren denkt, und in gleichem Sinn. Was die Geburt ist, das ist, dem Wesen und der Bedeutung nach, auch der Tod; es ist die selbe Linie in zwei Richtungen beschrieben. Ist jene ein wirkliche Entstehung aus Nichts; so ist auch dieser eine wirkliche Vernichtung. In Wahrheit aber läßt sich nur mittelst der Ewigkeit unsers eigentlichen Wesens eine Unvergänglichkeit desselben denken, welche mithin keine zeitliche ist. Die Annahme, daß der Mensch aus Nichts geschaffen sei, führt nothwendig zu der, daß der Tod sein absolutes Ende sei. Hierin ist also das Alte Testament völlig konsequent: denn zu einer Schöpfung aus Nichts paßt keine Unsterblichkeitslehre. Das neutestamentliche Christenthum hat eine solche, weil es Indischen Geistes und daher, mehr als wahrscheinlich, auch Indischer Herkunft ist, wenn gleich nur unter Aegyptischer Vermittelung. Allein zu dem Jüdischen Stamm, auf welchen jene Indische Weisheit im gelobten Lande gepfropft werden mußte, paßt solche wie die Freiheit des Willens zum Geschaffenseyn desselben, oder wie
Humano capiti cervicem pictor equinam
Jungere si velit.
Es ist immer schlimm, wenn man nicht von Grund aus originell seyn und aus ganzem Holze schneiden darf. – Hingegen haben Brahmanismus und Buddhaismus ganz konsequent zur Fortdauer nach dem Tode ein Daseyn vor der Geburt, dessen Verschuldung abzubüßen dieses Leben daist. Wie deutlich sie auch der nothwendigen Konsequenz hierin sich bewußt sind, zeigt folgende Stelle aus Colebrooke's Geschichte der Indischen Philosophie in den Transact. of the Asiatic London Society, Vol. I, p. 577: Against the system of the Bhagavatas, which is but partially heretical, the objection upon which the chief stress is laid by Vyasa is, that the soul would not be eternal, if it were a production, and consequently had a beginning 55 . Ferner in Upham's Doctrine of Buddhism, p. 110 , heißt es: The lot in hell of impious persons call'd Deitty is the most severe: these are they, who discrediting the evidence of Buddha, adhere to the heretical doctrine, that all living beings had their beginning in the mother's womb, and will have their end in death 56 .
Wer sein Daseyn bloß als ein zufälliges auffaßt, muß allerdings fürchten, es durch den Tod zu verlieren. Hingegen wer auch nur im Allgemeinen einsieht, daß
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