Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
solltest du zweifeln, daß die geheimen Wege, die dir zu dieser Gegenwart offen standen, dir nicht auch zu jeder künftigen offen stehn werden?«
Wenn also Betrachtungen dieser Art allerdings geeignet sind, die Ueberzeugung zu erwecken, daß in uns etwas ist, das der Tod nicht zerstören kann; so geschieht es doch nur mittelst Erhebung auf einen Standpunkt, von welchem aus die Geburt nicht der Anfang unsers Daseyns ist. Hieraus aber folgt, daß was als durch den Tod unzerstörbar dargethan wird, nicht eigentlich das Individuum ist, welches überdies durch die Zeugung entstanden und die Eigenschaften des Vaters und der Mutter an sich tragend, als eine bloße Differenz der Species sich darstellt, als solche aber nur endlich seyn kann. Wie, Dem entsprechend, das Individuum keine Erinnerung seines Daseyns vor seiner Geburt hat, so kann es von seinem jetzigen keine nach dem Tode haben. In das Bewußtseyn aber setzt Jeder sein Ich: dieses erscheint ihm daher als an die Individualität gebunden, mit welcher ohnehin alles Das untergeht, was ihm, als Diesem, eigenthümlich ist und ihn von den Andern unterscheidet. Seine Fortdauer ohne die Individualität wird ihm daher vom Fortbestehn der übrigen Wesen ununterscheidbar, und er sieht sein Ich versinken. Wer nun aber so sein Daseyn an die Identität des Bewußtseyns knüpft und daher für dieses eine endlose Fortdauer nach dem Tode verlangt, sollte bedenken, daß er eine solche jedenfalls nur um den Preis einer eben so endlosen Vergangenheit vor der Geburt erlangen kann. Denn da er von einem Daseyn vor der Geburt keine Erinnerung hat, sein Bewußtseyn also mit der Geburt anfängt, muß ihm diese für ein Hervorgehn seines Daseyns aus dem Nichts gelten. Dann aber erkauft er die unendliche Zeit seines Daseyns nach dem Tode für eine eben so lange vor der Geburt: wobei die Rechnung, ohne Profit für ihn, aufgeht. Ist hingegen das Daseyn, welches der Tod unberührt läßt, ein anderes, als das des individuellen Bewußtseyns; so muß es, eben so wie vom Tode, auch von der Geburt unabhängig seyn, und demnach in Beziehung auf dasselbe es gleich wahr seyn zu sagen: »Ich werde stets seyn« und »Ich bin stets gewesen«; welches dann doch zwei Unendlichkeiten für eine giebt. – Eigentlich aber liegt im Worte Ich das größte Aequivokum, wie ohne Weiteres Der einsehn wird, dem der Inhalt unsers zweiten Buches und die dort durchgeführte Sonderung des wollenden vom erkennenden Theil unsers Wesens gegenwärtig ist. Je nachdem ich dieses Wort verstehe, kann ich sagen: »Der Tod ist mein gänzliches Ende«; oder aber auch: »Ein so unendlich kleiner Theil der Welt ich bin; ein eben so kleiner Theil meines wahren Wesens ist diese meine persönliche Erscheinung.« Aber das Ich ist der finstere Punkt im Bewußtseyn, wie auf der Netzhaut gerade der Eintrittspunkt des Sehnerven blind ist, wie das Gehirn selbst völlig unempfindlich, der Sonnenkörper finster ist und das Auge Alles sieht, nur sich selbst nicht. Unser Erkenntnißvermögen ist ganz nach außen gerichtet, Dem entsprechend, daß es das Produkt einer zum Zwecke der bloßen Selbsterhaltung, also des Nahrungssuchens und Beutefangens entstandenen Gehirnfunktion ist. Daher weiß Jeder von sich nur als von diesem Individuo, wie es in der äußeren Anschauung sich darstellt. Könnte er hingegen zum Bewußtseyn bringen was er noch überdies und außerdem ist; so würde er seine Individualität willig fahren lassen, die Tenacität seiner Anhänglichkeit an dieselbe belächeln und sagen: »Was kümmert der Verlust dieser Individualität mich, der ich die Möglichkeit zahlloser Individualitäten in mir trage?« Er würde einsehn, daß, wenn ihm gleich eine Fortdauer seiner Individualität nicht bevorsteht, es doch ganz so gut ist, als hätte er eine solche; weil er einen vollkommenen Ersatz für sie in sich trägt. – Ueberdies ließe sich nun aber noch in Erwägung bringen, daß die Individualität der meisten Menschen eine so elende und nichtswürdige ist, daß sie wahrlich nichts daran verlieren, und daß was an ihnen noch einigen Werth haben mag, das allgemein Menschliche ist: diesem aber kann man die Unvergänglichkeit versprechen. Ja, schon die starre Unveränderlichkeit und wesentliche Beschränkung jeder Individualität, als solcher, müßte, bei einer endlosen Fortdauer derselben, endlich, durch ihre Monotonie, einen so großen Ueberdruß erzeugen, daß man, um ihrer nur entledigt zu seyn, lieber zu Nichts würde. Unsterblichkeit
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