Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
dasselbe auf irgend einer ursprünglichen Nothwendigkeit beruhe, wird nicht glauben, daß diese, die etwas so Wundervolles herbeigeführt hat, auf eine solche Spanne Zeit beschränkt sei, sondern daß sie in jeder wirke. Als ein nothwendiges aber wird sein Daseyn erkennen, wer erwägt, daß bis jetzt, da er existirt, bereits eine unendliche Zeit, also auch eine Unendlichkeit von Veränderungen abgelaufen ist, er aber dieser ungeachtet doch daist: die ganze Möglichkeit aller Zustände hat sich also bereits erschöpft, ohne sein Daseyn aufheben zu können. Könnte er jemals nicht seyn; so wäre er schon jetzt nicht . Denn die Unendlichkeit der bereits abgelaufenen Zeit, mit der darin erschöpften Möglichkeit ihrer Vorgänge, verbürgt, daß was existirt nothwendig existirt . Mithin hat Jeder sich als ein nothwendiges Wesen zu begreifen, d.h. als ein solches, aus dessen wahrer und erschöpfender Definition, wenn man sie nur hätte, das Daseyn desselben folgen würde. In diesem Gedankengange liegt wirklich der allein immanente, d.h. sich im Bereich erfahrungsmäßiger Data haltende Beweis der Unvergänglichkeit unsers eigentlichen Wesens. Diesem nämlich muß die Existenz inhäriren, weil sie sich als von allen durch die Kausalkette möglicherweise herbeiführbaren Zuständen unabhängig erweist: denn diese haben bereits das Ihrige gethan, und dennoch ist unser Daseyn davon so unerschüttert geblieben, wie der Lichtstrahl vom Sturmwind, den er durchschneidet. Könnte die Zeit, aus eigenen Kräften, uns einem glücksäligen Zustande entgegenführen; so wären wir schon lange da: denn eine unendliche Zeit liegt hinter uns. Aber ebenfalls: könnte sie uns dem Untergange entgegenführen; so wären wir schon längst nicht mehr. Daraus, daß wir jetzt dasind, folgt, wohlerwogen, daß wir jederzeit daseyn müssen. Denn wir sind selbst das Wesen, welches die Zeit, um ihre Leere auszufüllen, in sich aufgenommen hat: deshalb füllt es eben die ganze Zeit, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft auf gleiche Weise, und es ist uns so unmöglich, aus dem Daseyn, wie aus dem Raum hinauszufallen. – Genau betrachtet ist es undenkbar, daß Das, was ein Mal in aller Kraft der Wirklichkeit daist, jemals zu nichts werden und dann eine unendliche Zeit hindurch nicht seyn sollte. Hieraus ist die Lehre der Christen von der Wiederbringung aller Dinge, die der Hindu von der sich stets erneuernden Schöpfung der Welt durch Brahma, nebst ähnlichen Dogmen Griechischer Philosophen hervorgegangen. – Das große Geheimniß unsers Seyns und Nichtseins, welches aufzuklären diese und alle damit verwandten Dogmen erdacht wurden, beruht zuletzt darauf, daß das Selbe, was objektiv eine unendliche Zeitreihe ausmacht, subjektiv ein Punkt, eine untheilbare, allezeit gegenwärtige Gegenwart ist; aber wer faßt es? Am deutlichsten hat es Kant dargelegt, in seiner unsterblichen Lehre von der Idealität der Zeit und der alleinigen Realität des Dinges an sich. Denn aus dieser ergiebt sich, daß das eigentlich Wesentliche der Dinge, des Menschen, der Welt, bleibend und beharrend im Nunc stans , liegt, fest und unbeweglich; und daß der Wechsel der Erscheinungen und Begebenheiten eine bloße Folge unserer Auffassung desselben mittelst unserer Anschauungsform der Zeit ist. – Demnach, statt zu den Menschen zu sagen: »Ihr seid durch die Geburt entstanden, aber unsterblich«; sollte man ihnen sagen: »Ihr seid nicht Nichts«, und sie dieses verstehn lehren, im Sinne des dem Hermes Trismegistos beigelegten Ausspruchs: To gar on aei estai . (Quod enim est, erit semper. Stob. Ecl., I, 43, 6.) Wenn es jedoch hiemit nicht gelingt, sondern das beängstigte Herz sein altes Klagelied anstimmt: »Ich sehe alle Wesen durch die Geburt aus dem Nichts entstehn und diesem nach kurzer Frist wieder anheimfallen: auch mein Daseyn, jetzt in der Gegenwart, wird bald in ferner Vergangenheit liegen, und ich werde Nichts seyn!« – so ist die richtige Antwort: »Bist du nicht da? Hast du sie nicht inne, die kostbare Gegenwart, nach der ihr Kinder der Zeit alle so gierig trachtet, jetzt inne, wirklich inne? Und verstehst du, wie du zu ihr gelangt bist? Kennst du die Wege, die dich zu ihr geführt haben, daß du einsehn könntest, sie würden dir durch den Tod versperrt? Ein Daseyn deines Selbst, nach der Zerstörung deines Leibes, ist dir seiner Möglichkeit nach unbegreiflich; aber kann es dir unbegreiflicher seyn, als dir dein jetziges Daseyn ist, und wie du dazu gelangtest? Warum
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