Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
in der Zeit, ist der Begriff des Aufhörens allerdings anwendbar und die empirische Erkenntniß legt unverhohlen den Tod als das Ende dieses zeitlichen Daseyns dar. Das Ende der Person ist eben so real, wie es ihr Anfang war, und in eben dem Sinne, wie wir vor der Geburt nicht waren, werden wir nach dem Tode nicht mehr seyn. Jedoch kann durch den Tod nicht mehr aufgehoben werden, als durch die Geburt gesetzt war; also nicht Das, wodurch die Geburt allererst möglich geworden. In diesem Sinne ist natus et denatus ein schöner Ausdruck. – Nun aber liefert die gesammte empirische Erkenntniß bloße Erscheinungen: nur diese daher werden von den zeitlichen Hergängen des Entstehns und Vergehns getroffen, nicht aber das Erscheinende, das Wesen an sich. Für dieses existirt der durch das Gehirn bedingte Gegensatz von Entstehn und Vergehn gar nicht, sondern hat hier Sinn und Bedeutung verloren. Dasselbe bleibt also unangefochten vom zeitlichen Ende einer zeitlichen Erscheinung und behält stets dasjenige Daseyn, auf welches die Begriffe von Anfang, Ende und Fortdauer nicht anwendbar sind. Dasselbe aber ist, so weit wir es verfolgen können, in jedem erscheinenden Wesen der Wille desselben: so auch im Menschen. Das Bewußtseyn hingegen besteht im Erkennen: dieses aber gehört, wie genugsam nachgewiesen, als Thätigkeit des Gehirns, mithin als Funktion des Organismus, der bloßen Erscheinung an, endigt daher mit dieser: der Wille allein, dessen Werk oder vielmehr Abbild der Leib war, ist das Unzerstörbare. Die strenge Unterscheidung des Willens von der Erkenntniß, nebst dem Primat des erstern, welche den Grundcharakter meiner Philosophie ausmacht, ist daher der alleinige Schlüssel zu dem sich auf mannigfaltige Weise kund gebenden und in jedem, sogar dem ganz rohen Bewußtseyn stets von Neuern aufsteigenden Widerspruch, daß der Tod unser Ende ist, und wir dennoch ewig und unzerstörbar seyn müssen, also dem sentimus, experimurque nos aeternos esse des Spinoza . Alle Philosophen haben darin geirrt, daß sie das Metaphysische, das Unzerstörbare, das Ewige im Menschen in den Intellekt setzten: es liegt ausschließlich im Willen , der von jenem gänzlich verschieden und allein ursprünglich ist. Der Intellekt ist, wie im zweiten Buche auf das Gründlichste dargethan worden, ein sekundäres Phänomen und durch das Gehirn bedingt, daher mit diesem anfangend und endend. Der Wille allein ist das Bedingende, der Kern der ganzen Erscheinung, von den Formen dieser, zu welchen die Zeit gehört, somit frei, also auch unzerstörbar. Mit dem Tode geht demnach zwar das Bewußtseyn verloren, nicht aber Das, was das Bewußtseyn hervorbrachte und erhielt: das Leben erlischt, nicht aber mit ihm das Princip des Lebens, welches in ihm sich manifestirte. Daher also sagt Jedem ein sicheres Gefühl, daß in ihm etwas schlechthin Unvergängliches und Unzerstörbares sei. Sogar das Frische und Lebhafte der Erinnerungen aus der fernsten Zeit, aus der ersten Kindheit, zeugt davon, daß irgend etwas in uns nicht mit der Zeit sich fortbewegt, nicht altert, sondern unverändert beharrt. Aber was dieses Unvergängliche sei, konnte man sich nicht deutlich machen. Es ist nicht das Bewußtseyn, so wenig wie der Leib, auf welchem offenbar das Bewußtseyn beruht. Es ist vielmehr Das, worauf der Leib, mit sammt dem Bewußtseyn beruht. Dieses aber ist eben Das, was, indem es ins Bewußtseyn fällt, sich als Wille darstellt. Ueber diese unmittelbarste Erscheinung desselben hinaus können wir freilich nicht; weil wir nicht über das Bewußtseyn hinaus können: daher bleibt die Frage, was denn Jenes seyn möge, sofern es nicht ins Bewußtseyn fällt, d.h. was es schlechthin an sich selbst sei, unbeantwortbar.
In der Erscheinung und mittelst deren Formen, Zeit und Raum, als principium individuationis , stellt es sich so dar, daß das menschliche Individuum untergeht, hingegen das Menschengeschlecht immerfort bleibt und lebt. Allein im Wesen an sich der Dinge, als welches von diesen Formen frei ist, fällt auch der ganze Unterschied zwischen dem Individuo und dem Geschlechte weg, und sind Beide unmittelbar Eins. Der ganze Wille zum Leben ist im Individuo, wie er im Geschlechte ist, und daher ist die Fortdauer der Gattung bloß das Bild der Unzerstörbarkeit des Individui.
Da nun also das so unendlich wichtige Verständniß der Unzerstörbarkeit unsers wahren Wesens durch den Tod gänzlich auf dem Unterschiede zwischen Erscheinung und Ding an sich beruht, will
Weitere Kostenlose Bücher