Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
der Individualität verlangen, heißt eigentlich einen Irrthum ins Unendliche perpetuiren wollen. Denn im Grunde ist doch jede Individualität nur ein specieller Irrthum, Fehltritt, etwas das besser nicht wäre, ja, wovon uns zurückzubringen der eigentliche Zweck des Lebens ist. Dies findet seine Bestätigung auch darin, daß die allermeisten, ja, eigentlich alle Menschen so beschaffen sind, daß sie nicht glücklich seyn könnten, in welche Welt auch immer sie versetzt werden möchten. In dem Maaße nämlich, als eine solche Noth und Beschwerde ausschlösse, würden sie der Langenweile anheimfallen, und in dem Maaße, als dieser vorgebeugt wäre, würden sie in Noth, Plage und Leiden gerathen. Zu einem glücksäligen Zustande des Menschen wäre also keineswegs hinreichend, daß man ihn in eine »bessere Welt« versetzte, sondern auch noch erfordert, daß mit ihm selbst eine Grundveränderung vorgienge, also daß er nicht mehr wäre was er ist, und dagegen würde was er nicht ist. Dazu aber muß er zuvörderst aufhören zu seyn was er ist: dieses Erforderniß erfüllt vorläufig der Tod, dessen moralische Nothwendigkeit sich von diesem Gesichtspunkt aus schon absehn läßt. In eine andere Welt versetzt werden, und sein ganzes Wesen verändern, – ist im Grunde Eins und das Selbe. Hierauf beruht auch zuletzt jene Abhängigkeit des Objektiven vom Subjektiven, welche der Idealismus unsers ersten Buches darlegt: demnach liegt hier der Anknüpfungspunkt der Transscendentalphilosophie an die Ethik. Wenn man dies berücksichtigt, wird man das Erwachen aus dem Traume des Lebens nur dadurch möglich finden, daß mit demselben auch sein ganzes Grundgewebe zerrinnt: dies aber ist sein Organ selbst, der Intellekt, sammt seinen Formen, als mit welchem der Traum sich ins Unendliche fortspinnen würde; so fest ist er mit jenem verwachsen. Das, was ihn eigentlich träumte, ist doch noch davon verschieden und bleibt allein übrig. Hingegen ist die Besorgniß, es möchte mit dem Tode Alles aus seyn, Dem zu vergleichen, daß Einer im Traume dächte, es gäbe bloße Träume, ohne einen Träumenden. – Nachdem nun aber durch den Tod ein individuelles Bewußtseyn ein Mal geendigt hat; wäre es da auch nur wünschenswerth, daß es wieder angefacht würde, um ins Endlose fortzubestehn? Sein Inhalt ist, dem größten Theile nach, ja meistens durchweg, nichts als ein Strohm kleinlicher, irdischer, armsäliger Gedanken und endloser Sorgen: laßt diese doch endlich beruhigt werden! – Mit richtigem Sinne setzten daher die Alten auf ihre Grabsteine: securitati perpetuae ; – oder bonae quieti . Wollte man aber gar hier, wie so oft geschehn, Fortdauer des individuellen Bewußtseyns verlangen, um eine jenseitige Belohnung oder Bestrafung daran zu knüpfen; so würde es hiemit im Grunde nur auf die Vereinbarkeit der Tugend mit dem Egoismus abgesehn seyn. Diese Beiden aber werden sich nie umarmen: sie sind von Grund aus Entgegengesetzte. Wohlbegründet hingegen ist die unmittelbare Ueberzeugung, welche der Anblick edler Handlungen hervorruft, daß der Geist der Liebe, der Diesen seiner Feinde schonen, Jenen des zuvor nie Gesehenen sich mit Lebensgefahr annehmen heißt, nimmermehr verfliegen und zu Nichts werden kann. –
Die gründlichste Antwort auf die Frage nach der Fortdauer des Individuums nach dem Tode liegt in Kants großer Lehre von der Idealität der Zeit , als welche gerade hier sich besonders folgenreich und fruchtbar erweist, indem sie, durch eine völlig theoretische aber wohlerwiesene Einsicht, Dogmen, die auf dem einen wie auf dem andern Wege zum Absurden führen, ersetzt und so die excitirendeste aller metaphysischen Fragen mit einem Male beseitigt. Anfangen, Enden und Fortdauern sind Begriffe, welche ihre Bedeutung einzig und allein von der Zeit entlehnen und folglich nur unter Voraussetzung dieser gelten. Allein die Zeit hat kein absolutes Daseyn, ist nicht die Art und Weise des Seyns an sich der Dinge, sondern bloß die Form unserer Erkenntniß von unserm und aller Dinge Daseyn und Wesen, welche eben dadurch sehr unvollkommen und auf bloße Erscheinungen beschränkt ist. In Hinsicht auf diese allein also finden die Begriffe von Aufhören und Fortdauern Anwendung, nicht in Hinsicht auf das in ihnen sich Darstellende, das Wesen an sich der Dinge, auf welches angewandt jene Begriffe daher keinen wahren Sinn mehr haben. Dies zeigt sich denn auch daran, daß eine Beantwortung der von jenen Zeitbegriffen ausgehenden Frage
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