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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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ich eben diesen jetzt dadurch in das hellste Licht stellen, daß ich ihn am Gegentheil des Todes, also an der Entstehung der animalischen Wesen, d.i. der Zeugung , erläutere. Denn dieser mit dem Tode gleich geheimnißvolle Vorgang stellt uns den fundamentalen Gegensatz zwischen Erscheinung und Wesen an sich der Dinge, d.i. zwischen der Welt als Vorstellung und der Welt als Wille, wie auch die gänzliche Heterogeneität der Gesetze Beider, am unmittelbarsten vor Augen. Der Zeugungsakt nämlich stellt sich uns auf zweifache Weise dar: erstlich für das Selbstbewußtseyn, dessen alleiniger Gegenstand, wie ich oft nachgewiesen habe, der Wille mit allen seinen Affektionen ist; und sodann für das Bewußtseyn anderer Dinge, d.i. der Welt der Vorstellung, oder der empirischen Realität der Dinge. Von der Willensseite nun, also innerlich, subjektiv, für das Selbstbewußtseyn, stellt jener Akt sich dar als die unmittelbarste und vollkommenste Befriedigung des Willens, d.i. als Wollust. Von der Vorstellungsseite hingegen, also äußerlich, objektiv, für das Bewußtseyn von andern Dingen, ist eben dieser Akt der Einschlag zum allerkünstlichsten Gewebe, die Grundlage des unaussprechlich komplicirten animalischen Organismus, der dann nur noch der Entwickelung bedarf, um unsern erstaunten Augen sichtbar zu werden. Dieser Organismus, dessen ins Unendliche gehende Komplikation und Vollendung nur Der kennt, welcher Anatomie studirt hat, ist, von der Vorstellungsseite aus, nicht anders zu begreifen und zu denken, als ein mit der planvollsten Kombination ausgedachtes und mit überschwänglicher Kunst und Genauigkeit ausgeführtes System, als das mühsäligste Werk der tiefsten Ueberlegung: – nun aber von der Willensseite kennen wir, durch das Selbstbewußtseyn, seine Hervorbringung als das Werk eines Aktes, der das gerade Gegentheil aller Ueberlegung ist, eines ungestümen, blinden Dranges, einer überschwänglich wollüstigen Empfindung. Dieser Gegensatz ist genau verwandt mit dem oben nachgewiesenen unendlichen Kontrast zwischen der absoluten Leichtigkeit, mit der die Natur ihre Werke hervorbringt, nebst der dieser entsprechenden gränzenlosen Sorglosigkeit, mit welcher sie solche der Vernichtung Preis giebt, – und der unberechenbar künstlichen und durchdachten Konstruktion eben dieser Werke, nach welcher zu urtheilen sie unendlich schwer zu machen und daher über ihre Erhaltung mit aller ersinnlichen Sorgfalt zu wachen seyn müßte; während wir das Gegentheil vor Augen haben. – Haben wir nun, durch diese, freilich sehr ungewöhnliche Betrachtung, die beiden heterogenen Seiten der Welt aufs schroffeste an einander gebracht und sie gleichsam mit einer Faust umspannt; so müssen wir sie jetzt festhalten, um uns von der gänzlichen Ungültigkeit der Gesetze der Erscheinung, oder Welt als Vorstellung, für die des Willens, oder der Dinge an sich, zu überzeugen: dann wird es uns faßlicher werden, daß, während auf der Seite der Vorstellung, d.i. in der Erscheinungswelt, sich uns bald ein Entstehn aus Nichts, bald eine gänzliche Vernichtung des Entstandenen darstellt, von jener andern Seite aus, oder an sich, ein Wesen vorliegt, auf welches angewandt die Begriffe von Entstehn und Vergehn gar keinen Sinn haben. Denn wir haben soeben, indem wir auf den Wurzelpunkt zurückgiengen, wo, mittelst des Selbstbewußtseyns, die Erscheinung und das Wesen an sich zusammenstoßen, es gleichsam mit Händen gegriffen, daß Beide schlechthin inkommensurabel sind, und die ganze Weise des Seyns des Einen, nebst allen Grundgesetzen dieses Seyns, im Andern nichts und weniger als nichts bedeutet. – Ich glaube, daß diese letzte Betrachtung nur von Wenigen recht verstanden werden, und daß sie Allen, die sie nicht verstehn, mißfällig und selbst anstößig seyn wird: jedoch werde ich deshalb nie etwas weglassen, was dienen kann, meinen Grundgedanken zu erläutern. –
    Am Anfange dieses Kapitels habe ich auseinandergesetzt, daß die große Anhänglichkeit an das Leben, oder vielmehr die Furcht vor dem Tode, keineswegs aus der Erkenntniß entspringt, in welchem Fall sie das Resultat des erkannten Werthes des Lebens seyn würde; sondern daß jene Todesfurcht ihre Wurzel unmittelbar im Willen hat, aus dessen ursprünglichem Wesen, in welchem er ohne alle Erkenntniß, und daher blinder Wille zum Leben ist, sie hervorgeht. Wie wir in das Leben hineingelockt werden durch den ganz illusorischen Trieb zur Wollust; so werden wir darin festgehalten

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