Die Welt auf dem Kopf
hab! Heute bin ich ausnahmsweise einkaufen gegangen, weil der Lehrling nicht gekommen ist!‹ Aber inzwischen war ich hellhörig geworden und habe sie noch mehrmals heimlich beobachtet, und da ist mir klargeworden, dass es gar keinen Lehrling gab, sondern sich meine Mutter als Lasttier zur Verfügung stellte, und ich war so wütend, dass ich den Teller mit den Resten nahm, den sie mit nach Hause gebracht hatte, und ihr vor die Füße warf. ›Warum schleppt er nicht selbst die schweren Tüten?‹, habe ich sie gefragt. ›Weil er sich neue Rezepte ausdenken muss. Denn das ist das Erfolgsgeheimnis seines Restaurants: die neuartigen Gerichte, die er kreiert! Ach, diese Gerichte! Was für köstliche Gerichte er erfindet!‹ Sie hat ihn auch noch in Schutz genommen, diesen Ganoven.«
»Und – konntest du sie überzeugen?«
»Ach was! Sie hat weiter für ihn gearbeitet, bis er sich in eine Kellnerin verliebt hat, eine Jüngere, Hübschere. Mir war aufgefallen, dass Mama, die meistens fröhlich ist, mit einem Mal ganz traurig war. Da bin ich mit meinem Freund zum Abendessen ins Restaurant gegangen, um den Grund herauszufinden, und wir sind geblieben, bis alle anderen Gäste gegangen waren. Schließlich hat sich dieser Künstlerkoch mit der Kellnerin an den Tisch gesetzt und ihr immerwieder Wein eingeschenkt, während er angeregt mit ihr plauderte. Währenddessen hat Mama mit ihrer grässlichen Haarhaube, die ihr über die Augen zu rutschen drohte, das Geschirr in die Küche getragen und den Abwasch erledigt. Damit sie nicht vor Scham im Erdboden versinken musste, sind mein Freund und ich hinausgegangen und haben draußen auf sie gewartet. Irgendwie hoffte ich noch immer, wir hätten uns geirrt und dass sie gleich in Begleitung von ihm herauskäme. Aber wir hatten uns nicht geirrt. Sie kam allein heraus und wäre mutterseelenallein in der Dunkelheit nach Hause gegangen, wären wir nicht gewesen. ›Wenn du weiter für diesen Gauner arbeitest, ziehe ich von zu Hause aus‹, hab ich zu ihr gesagt. Und plötzlich war sie nicht mehr traurig, sondern genauso heiter wie früher, und hat sich bei uns untergehakt, bei mir und meinem Freund. Am nächsten Tag hat sie wieder angefangen, als Putzfrau zu arbeiten, als wäre nichts gewesen.«
»Und jetzt hast du Angst, dass sich deine Mutter, nachdem sie sich schon ins Licht, das Schrankzimmer, die purpurroten Seidentapeten und die Geigen verliebt hat, auch in Mr. Johnson verlieben könnte?«
»Das kann durchaus passieren. Der Signore von oben ist reich, sehr reich sogar. Außerdem ist er Künstler, und zwar ein richtiger, im Gegensatz zu den beiden anderen Halunken. Weißt du, dass sie auch für ihn mit ihrem Geld einkauft, das heißt mit unserem Geld? Und hoffentlich hat dieses Wort, das die Nachbarn seine Frau zu ihm sagen gehört haben –›Schwein‹ –, nichts zu bedeuten und ist die Hausarbeit das Einzige, wo sie ihn von vorn bis hinten bedient. Es braucht nicht viel, dass sich Mama in jemanden verguckt, ein Lächeln, eine kleine freundliche Geste, ein kümmerlicher Garten, ein Zimmer mehr, als wir es haben. Ganz zu schweigen von einer Wohnung, die ein ganzes Stockwerk einnimmt. Und den Rest erledigt dann ihre Fantasie, und wenn eine Geschichte mal wieder zu Ende ist, genauer gesagt, wenn der aktuelle Kandidat sie verlässt, dauert es nicht lang, und sie hat es wieder vergessen und stürzt sich Hals über Kopf in die nächste Liebesgeschichte, das heißt ins nächste Unglück. Mit dem Signore von oben wird es das Gleiche sein. Meine Mutter hat nichts aus ihren Erfahrungen gelernt. Ich habe eine interessante Geschichte gelesen, weiß aber nicht mehr, wo, jedenfalls ist sie mir im Gedächtnis geblieben: Auf einer Insel mitten im Ozean gab es im neunzehnten Jahrhundert eine Fabrik, die Pinguintran herstellte. Die Tiere wurden erschlagen und dann in einen Kessel mit kochendem Wasser geworfen und ausgekocht. Offensichtlich empfingen die Pinguine ihre Schlächter mit offenen Armen, um sich von ihnen streicheln zu lassen. Glaubst du, die Tiere hätten etwas von den Schreien ihrer Leidensgenossen gelernt, die man zum Teil noch bei lebendigem Leib ins kochende Wasser warf? Nein. Genau wie meine Mutter. Sollte Mr. Johnson ihr nächster Peiniger sein, wird sie ihn bereitwillig an sich heran- und sich von ihm streicheln lassen. Ist dir aufgefallen, dass sie ihn bereits mit Vornamen anredet? Levi hier undLevi da. Hast du bemerkt, wie sie sich neuerdings zurechtmacht, wenn sie zum Putzen
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