Die Welt auf dem Kopf
nach oben geht? Man könnte meinen, sie ginge zu einem Fest. Und ist dir auch aufgefallen, wie sie sich von ihm zu seiner Rostbeule begleiten und herumkutschieren lässt, stolz wie eine Königin? Sie strahlt vor Freude, die arme Mama, wie die Pinguine, bevor man sie in den dampfenden Kessel warf.«
»Was ist schon so schlimm daran, wenn sie wieder angefangen hat zu träumen? Die Schlächter dieser armen Pinguine hätten die Tiere so oder so totgeschlagen, auch wenn sie ihnen die kalte Schulter gezeigt hätten. Du solltest deine Mutter mehr wertschätzen.«
»Oh, ich schätze sie durchaus, sehr sogar. Es ist nur so, dass ich mehr für das Normale bin. Wie gern hätte ich eine normale Familie gehabt! Am liebsten mag ich es, wenn ich mit Mama normale Dinge tun kann, zum Beispiel mit ihr in ein kleines Dorf aufs Land fahren, um gutes Öl und Eier von freilaufenden Hühnern zu kaufen, oder zusammen Osterputz machen und dabei singen. Aber ihre Träume … die machen mir Angst.«
Als Natascha das sagte, nahm ich mir vor, nächstes Mal, wenn ich wieder zu Mama aufs Land fahre, Anna und Natascha Blumen aus unserem Garten mitzubringen, so viele ich im Bus mitnehmen kann.
Als ich ihnen zum ersten Mal Blumen gebracht hatte, war Anna für mich noch die Signora von unten, die ich nur vom Sehen kannte. Ich klingelte, und sie machte auf, und daich spürte, wie ich vor Verlegenheit rot im Gesicht wurde, drückte ich ihr eilig den Strauß Narzissen in die Hand, die schönsten Winterblumen, die es für mich gibt.
»Guten Tag, ich bin Ihre Nachbarin, ich wohne gegenüber, auf der anderen Seite des Hofs, und habe gesehen, dass Sie Frühlingsputz gemacht haben. Und weil ich auf dem Land einen riesigen Garten mit unzähligen Blumen habe, die niemand pflückt, weil ich hier studiere und Mama den Verstand verloren hat, habe ich Ihnen welche mitgebracht.«
Anna bat mich herein und bereitete mit der automatischen Espressomaschine eine Tasse Schokolade für mich zu, nachdem sie die Blumen in eine große Kristallvase im guten Zimmer drapiert hatte.
»Ich stelle sie hierhin, hier kommt die Vase am besten zur Geltung. Ist sie nicht schön? Sie stammt aus Böhmen!«, sagte sie voller Stolz.
An diesem Tag machte sie mich zu ihrer fill’e anima , was wörtlich »Kind des Herzens« heißt, wobei einen die Frauen hier in der Marina schnell in ihr Herz schließen und als fill’e anima annehmen. Schon bevor ich Annas Freundin wurde, fand ich vor meiner Tür in schöner Regelmäßigkeit Teller mit Couscous, Falafel, Kefta oder Tajine vor. Und wenn mich die Frauen auf der Straße trafen, denen ich, so jung und ganz allein auf mich gestellt, leidtat, sagten sie in ihrer jeweiligen Sprache mischinedda , »Du Arme!« zu mir und fragten: »Geht es dir gut, meine Kleine?« Und wennich dann antwortete: »Ja, und dir?«, sagten sie: »Masha’Allah!« – »Wie es Gott will.«
Und so kommt es, dass Anna mir all das beibringt, was mir eigentlich meine Mutter und meine Tante hätten beibringen sollen. Weil sie in vielen Häusern sauber macht, sieht sie immerzu überall Schmutz, und in meiner Wohnung lässt sie keine Gelegenheit aus, mich darauf aufmerksam zu machen, dass mir niemand etwas beigebracht hat. Meine Schludrigkeit ist ihr ein Gräuel. »Deu, scetti chi ti biu …« , was heißt: »Wenn ich nur schon sehe, wie du …« Die Art, wie ich putze, nennt sie »Schmutz verteilen«, eine Methode, die darin besteht, mit demselben Wasser die Böden der ganzen Wohnung zu wischen oder die Staubflusen und Haare von einer Ecke in die andere zu schieben, statt sie zu entfernen, oder beim Staubwischen mit dem Lappen um die Gegenstände herumzufahren, statt sie hochzuheben und gründlich abzustauben. Im Gegenzug will sie mir »gute Gewohnheiten« anerziehen, zum Beispiel, dass ich regelmäßig vor dem Zubettgehen den Abwasch erledige und den Küchenboden sauber mache und die Espressokanne und den Milchtopf auf den Herd stelle, damit ich es am nächsten Morgen bequem habe und frisch und ausgeruht zur Universität gehen kann, statt bereits erschöpft von der Hausarbeit zu sein. Und nachdem ich meinen Milchkaffee getrunken habe, soll ich die Tasse mit dem Kaffeelöffel ins Spülbecken stellen und unbedingt in Wasser einweichen, denn andernfalls klebt, wenn ich, und diesmal zu Rechtmüde, von der Universität heimkomme, der Kaffeelöffel an der Tasse und die Tasse am Tisch, wo sich ein eingetrockneter Milchkaffeerand gebildet hat, der sich nur schwer entfernen
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