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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Instrument hegemonialer Bestrebung. Was »gut« und »böse« ist, wird nicht von den selbstgefälligen Zirkeln humanitärer »Gutmenschen« der sehr unterschiedlichen NGOs entschieden, sondern durch die nüchterne strategische Lagebeurteilung des Pentagons oder durch die Profitorientierung global operierender Konzerne.
    Francis Fukuyama, der seiner Utopie vom »Ende der Geschichte« längst abgeschworen hat, steigert sich unter Bezug auf den Vorgänger Obamas zu einer sehr krassen Formulierung: »Die Bush-Administration hat viele Menschen davon überzeugt, daß der Ausdruck ›Demokratie‹ nur ein Codewort geworden ist für militärische Intervention und gewaltsamen Regime-Umsturz.«
    *
    Der Historiker Leopold von Ranke vertrat die Meinung, daß ein Mensch alt werden müsse, um die geschichtsträchtigen Vorgänge deuten zu können, die sich zu seinen Lebzeiten vollzogen. Im Hinblick auf China hoffe ich – bei aller gebotenen Zurückhaltung –, auf diese Erkenntnis zurückgreifen zu können. Mein erster Kontakt mit dem Reich der Mitte geht auf den März 1946 zurück. Ich war damals mit einem Vortrupp des französischen Expeditionskorps in der Nähe der nordvietnamesischen Hafenstadt Haiphong an Land gegangen. Wir waren dabei vorübergehend unter das Feuer der nationalchinesischen Kuomintang-Armee geraten, die laut inter­na­tionaler Vereinbarung in die Nordhälfte von Französisch-Indochina eingerückt war, um dort die japanischen Be­sat­zungs­truppen nach der Kapitulation des Tenno zu entwaffnen.
    Zum gleichen Zeitpunkt erlagen die Divisionen des Marschall Chiang Kai-shek nördlich des Yangtsekiang dem Ansturm der Volksbefreiungsarmee Mao Zedongs und taumelten von Niederlage zu Niederlage. Im Norden Vietnams übte nicht der Generalissimo Chiang den effektiven Oberbefehl über seine Soldateska aus, die die einheimische Bevölkerung drangsalierte, sondern der eigenwillige Warlord der südchinesischen Provinz Yünan. Um den Abzug dieser plündernden Marodeure zu erreichen, hatte der vietnamesische Nationalheld Ho Tschi Minh mit dem französischen General ­Leclerc einen seltsamen »modus vivendi« vereinbart. Die kom­munistischen Revolutionäre stimmten schweren Herzens der Rückkehr der französischen Kolonialarmee nach Tonking zu. In weiser Voraussicht verließ »Onkel Ho« sich darauf, daß das Zeitalter der französischen Präsenz sich dem Ende zuneigte, während eine militärische Okkupation seiner Heimat durch die Chinesen – welcher politischen Couleur sie auch angehörten – sich zu verewigen drohte. Jahrhundertelang hatte der annamitische Hof von Hue dem »Sohn des Drachen« in Peking seinen Vasallentribut entrichten müssen.
    Als ich im Frühjahr 1951 – dieses Mal als Kriegsberichterstatter – wieder in Hanoi eintraf, hatte zwei Jahre zuvor der triumphierende Mao Zedong auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Gründung der kommunistischen Volksrepublik China proklamiert. Seinem ideologisch gedrillten Massenheer war es in Korea wider Erwarten gelungen, ohne nennenswerte Bewaffnung und unter grauenhaften Verlusten die bis zur Grenze der Mandschurei vorgerückte US Army auf ihre Ausgangsposition am 38. Breitengrad zurückzuwerfen. Inzwischen hatte die Volksbefreiungsarmee auch die Südprovinzen Kwangsi und Yünan weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht. Nunmehr konnten die Partisanen Ho Tschi Minhs – von ihren kommunistischen Verbündeten aufgerüstet – die französischen Schlüsselstellungen von Langson und Caobang überrennen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Regierung in Paris erkennen müssen, daß ihr Feldzug in Fernost zum Scheitern verurteilt war. Statt dessen ließ der kommandierende General Navarre den völlig isolierten Talkessel von Dien Bien Phu zur Festung ausbauen in der Absicht, den Vietminh zu einer Entscheidungsschlacht zu zwingen. Trotz aller Bravour der französischen Paras und der Fremdenlegionäre signalisierte der unvermeidliche Fall von Dien Bien Phu das Ende der romantisch verklärten Bindung Frankreichs an seine rebellischen Besitzungen am Mekong und am Roten Fluß.
    1972 reiste ich ganz offiziell im Gefolge des damaligen ­Außenministers Walter Scheel nach Peking. Die maoistische Volksrepublik hatte inzwischen mit

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