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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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sich ihres eigenen Wohlverhaltens zu rühmen. Die Schaffung des Internationalen Gerichtshofs von Den Haag ist alles andere als ein Triumph der Gerechtigkeit. Dort wurden bisher nur mörderische Bandenführer des Balkans oder Anstifter zu Massakern in Afrika verurteilt. Aber es würde doch niemals ein verantwortlicher und schuldiger Kommandeur oder Politiker aus Rußland, den USA, China oder Frankreich dem Urteil eines Gremiums von bunt zusammengewürfelten Juristen ausgesetzt, deren eigene Regierungen allzuoft die Menschenrechte mit Füßen treten. Ein Beweis, wie kontraproduktiv die Einrichtung dieses Tribunals sich erweisen kann, wurde unlängst erbracht, als die deutsche Kanzlerin angeblich Wladimir Putin gefragt hat, ob Rußland nicht dem syrischen Diktator Bashar el-Assad Asyl gewähren könne, um Raum für einen Kompromiß im syrischen Bürgerkrieg zu schaffen. Der russische Außenminister Lawrow hat das ziemlich rüde als einen »Witz« bezeichnet. Aber für Assad existieren vermutlich nur zwei Alternativen: Entweder er wird auf bestialische Weise – wie Muammar el-Qadhafi, den man gepfählt hat – umgebracht, oder er muß den Rest seiner Tage in einer holländischen Haftzelle verbringen. Also dürfte er aller Wahrscheinlichkeit nach Widerstand bis zum letzten leisten und sich dabei erbarmungslos auf den Überlebensinstinkt seines Clans und seiner verschworenen alawitischen Glaubensgemeinschaft verlassen.
    Dem Pentagon ist es inzwischen gelungen, die gezielte Tötung von Terroristen auch in fremden Staaten wie Pakistan, Jemen oder Somalia mit Hilfe von unbemannten Flugkörpern, von Drohnen, »Predators« genannt, mit unheimlicher Präzision durchzuführen. Aus einem geheimen Bunker in Kansas oder Nebraska wird die Ortung und die Vernichtung der Ziele vorgenommen. Daß bei diesem Zugriff auch unschuldige Menschen, sogenannte »collateral damages«, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft befinden, ums Leben kommen, wird dabei in Kauf genommen. Ich neige nicht zu moralischer Empörung, aber ich empfinde es als unerträglich, wenn in Talkshows und Regierungserklärungen die todesmutigen Mujahidin Afghanistans, die – lediglich mit Kalaschnikow und RPG 7 bewaffnet – den gepanzerten Kolonnen der NATO entgegentreten, als »Feiglinge« beschimpft werden. Wie nennt man dann die Bomberpiloten, die aus 10 000 Meter Höhe und ohne jedes eigene Risiko verdächtige Menschenansammlungen, die nur oberflächlich als Taleban identifiziert wurden, der Vernichtung preisgeben?
    Andererseits kann man den Industrienationen des Westens – dazu gehört paradoxerweise auch Japan – nicht übelnehmen, daß sie den Durchbruch der Volksrepublik China zur führenden Exportnation – dabei hat sie auch die Bundesrepublik Deutschland überrundet – durch Gegenmaßnahmen und sogar diskriminierende Sanktionen einzugrenzen suchen. Die Ingenieure und Arbeiterkolonnen aus dem Reich der Mitte sind inzwischen in jedem Erdwinkel anzutreffen. Peking ist darauf angewiesen, die für seinen Aufstieg notwendigen Rohstoffe und Mineralien weltweit aufzukaufen, offeriert jedoch eine bemerkenswerte Gegenleistung durch den Ausbau gewaltiger Infrastrukturprojekte. Beliebt haben sich die Chinesen, die sich strikt von der einheimischen Bevölkerung abkapseln und ihre Leistungen im Rekordtempo erbringen, in den Entwicklungsländern nicht gemacht. Aber sie sind unentbehrlich geworden.
    Man hat dem sensationellen Expansionserfolg der chinesischen Machthaber vorgeworfen, sie würden ihre wirtschaftlichen Abschlüsse mit jeder Art von Regimen tätigen und sich nicht im geringsten darum scheren, ob dort die Menschenrechte und ein Minimum an Demokratie gewahrt werden. Peking lehnt jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten seiner Vertragspartner und Klienten ab und beabsichtigt in keiner Weise, durch irgendwelche Ermahnungen oder Pressionen mäßigenden Einfluß selbst auf verbrecherische Systeme zu nehmen. Doch diese an Zynismus grenzende Zurückhaltung und Indifferenz erscheint in mancher Hinsicht achtbarer und weniger hypokritisch als der amerikanische Anspruch, die »Guten« zu belohnen, die »Bösen« zu bestrafen und auf die Einhaltung von Menschenrechten und Demokratie zu pochen. Bei näherem Zusehen erweisen sich nämlich die tugendhaften Forderungen der USA als

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