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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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äußerster Konsequenz alle Spuren von Kapitalismus und Feudalherrschaft ausgemerzt. Dabei war es zu grauenhaften Phasen ideologischer Verwirrung gekommen. Am verhängnisvollsten wirkte sich der »Große Sprung nach vorn« aus, als Mao Zedong in einer Anwandlung von revolutionärer Verblendung die Agrarproduktion vernachlässigte und statt dessen den Landkommunen befahl, die Selbsterzeugung von Stahl in Kleinsthochöfen vorzunehmen. Diese absurden Maßnahmen sollen angeblich zwanzig Millionen Menschen zum Hungertod verurteilt haben, was eine ganze Reihe von ignoranten Intellektuellen in Europa nicht hinderte, den »Großen Sprung nach vorn« damals als Erfolg zu feiern.
    Etwa eine Dekade später holte der »Große Steuermann« zum nächsten vernichtenden Schlag aus. Der vorübergehenden Entmachtung durch seine Umgebung, die seine Extravaganzen zu dämpfen suchte, begegnete er mit einer flammenden Kampagne gegen angebliche Revisionisten und bür­gerliche Reformer. Er wiegelte das Volk und vor allem die fanatischen Jugendmassen der Rotgardisten zur »Großen proletarischen Kulturrevolution« auf und gab die Losung aus: »Bombardiert das Hauptquartier!« Gemeint waren die ihm entfremdeten Führungsgremien der eigenen Partei. Die bisherige politische Elite sah sich der rabiaten Verfolgung durch aufgehetzte Horden von Jugendlichen und einer entwürdigenden Umerziehung in Straflagern ausgesetzt. Der Text des kleinen »Roten Buches«, das Mao zur Bibel dieser intellektuellen Entgleisung machte, mußte unaufhörlich studiert und im Ton tiefster Überzeugung nachgebetet werden. Die Zahl der Todesopfer soll dieses Mal etwa fünf Millionen betragen haben.
    Zum Zeitpunkt der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Peking waren die schlimmsten Auswüchse der Kulturrevolution abgeklungen, aber die Furcht war noch allgegenwärtig. Bei der umfangreichen Reise, die ich mit einem deutschen Kamerateam zwischen Peking und Kanton antreten konnte, meldeten die Jungpioniere mit dem roten Halstuch in schönem Einklang, daß es ihr größter Wunsch sei, heldenhafte Soldaten der Volksbefreiungsarmee zu werden. Vor einer Art Altar, über dem das Bildnis des »Großen Steuermanns« wie ein Götze thronte, führten die Schüler Huldigungs­tänze auf. Auf sämtlichen Bühnen der Volksrepublik wurden die revolutionären Opern, die die Mao-Gattin Jiang Qing in Szene gesetzt hatte, als exklusives Instrument unduldsamer Indoktrinierung aufgeführt. Gleichzeitig wurde uns jedoch eine erstaunliche Freizügigkeit bei unseren Dreharbeiten gewährt, bei der Darstellung materieller Rückständigkeit, wie sie in den Agrarkommunen auf Schritt und Tritt anzutreffen war.
    Die für unsere Begriffe sinnlosen Thesen des Maoismus, die auf so viele aufgeregte Geister der 68er Generation eine groteske Faszination ausübten, habe ich stets abgelehnt, aber es tauchten damals zahlreiche europäische Mitläufer in Peking auf, die sich mit Mao-Mütze und Mao-Abzeichen schmückten. Sie gehören heute zu den eifrigsten Kritikern Chinas. Im Gegensatz zu den im Westen vorherrschenden Beurteilungen, die in dem asiatischen Revolutionär und Despoten lediglich einen Schlächter und tobenden Tyrannen sehen wollen, habe ich dem »Großen Steuermann« eine fundamentale Bedeutung beigemessen bei der brutalen, geradezu explosiven Umgestaltung seines riesigen Landes. Bis dahin hatten ja ein dekadenter Konfuzionismus, die Ausbeutung durch fremde Mächte und in der gehobenen Gesellschaft die Verachtung jeder körperlichen Arbeit vorgeherrscht. Im Grunde läßt sich Mao Zedong nur mit jenem grausamen Gründungskaiser Qin Shi Huangdi vergleichen, einem Giganten, der 200 Jahre vor unserer Zeitrechnung mit ähnlicher Menschenverachtung den Konfuzionismus auszumerzen suchte, die sich zerfleischenden »fighting kingdoms« zerschlug und zu einem kulturellen Block zusammenschmiedete, der sich bis heute in kontinentalem Ausmaß erhalten hat. Auf den Knochen zahlloser Zwangsarbeiter ließ er die ersten Abschnitte jener Großen Mauer errichten, die den Einfall der Nomaden verhindern sollte. Den Ökonomen Schumpeter paraphrasierend, neige ich dazu, dem Gewaltmenschen Mao Zedong eine »schöpferische Zerstörungskraft« zuzubilligen.
    Â»â€¦ it’s a rich man’s world«
    Seit dieser ersten

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