Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)
mit den Probe-Abos und dem Gratis-Brillenputzservice dafür umso mehr. Die wissen sogar, dass ich eine Gleitsichtbrille trage, selbst wenn ich sie gar nicht auf der Nase habe. Und für die Flyer-Verteiler einer lokalen Prostata-Klinik bin ich so etwas wie die Zwölf auf der Zielscheibe. Sie sehen mich und rufen entzückt: »Prostata!« und »Darmkrebs!« und versorgen mich mit vielen tollen, neuen Krankheitsbildern, die ich mir im hypochondrischen Wahn dann auch bald zulege.
Okay, ich gebe zu, bei meiner Altersangabe schummle ich hin und wieder. Wie viel ich schummle, kommt aufs Alter des Fragestellers an – in der Regel ist es allerdings eine Fragestellerin. Kommt die Frage nach dem Alter von einer Fünfundzwanzigjährigen, dann bin ich immer so um die 40 .
»Boah!«, erwidert die Mitzwanzigerin dann, »ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man so alt werden kann.«
Keine Ahnung, warum, aber solche Momente lassen mich um noch weitere Jahre altern. Ich würde zu gerne wissen, wie Dieter Bohlen oder Lothar Matthäus das machen. Irgendwann müssen die doch auch zu ihrem Alter stehen. Und wie sagen sie es dann ihren blutjungen Frauen? »Schätzchen, teile mein Vermögen, also 116 Millionen Euro, durch zwei Millionen, dann weißt du, wie jung ich bin!«
Aber zurück zu meinem Sohn und mir: Die »Black-Beats-Demütigung« war Vergangenheit; jetzt kam das Shopping. Genauer:
Er
shoppte,
ich
zahlte. Also rein in einen dieser hippen Läden mit cooler Mucke, und ich fragte den Träger meiner Gene: »Ist das Rock’n’Roll?«
Er guckt mich an wie ein waziristanischer (Bildung!) Landlord seine neun Frauen anschauen würde und antwortet verächtlich: »Rock’n’Roll? Wo lebst du denn? Das ist Independent!« Ich wollte ihm gerade erklären, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat. Ich wollte nicht wissen, wer die Musik produziert hat, sondern zu welcher Musikrichtung die seltsamen Klänge gehörten. Aber da kümmerte sich auch schon eine junge, hübsche, wiederum gepiercte Verkäuferin um ihn, und der Pubertierende sprach: »Hallo, ich suche so Jeans.«
Ich stellte mich neben ihn und ergänzte: »Ich auch. Ich suche auch ›so Jeans‹.« Die Verkäuferin fixierte mich samt Bauch.
»Ich glaube, für
Sie
habe ich da nichts.« Ihre Augen aber sagten: »Sach ma, alter Sack, bist du noch ganz frisch? Wir sind hier nicht bei Gerry Weber oder Trigema!«
Ich fügte mich meinem Schicksal und ließ die Verkäuferin mit der Ausgeburt unbekümmerter Jugendlichkeit allein, damit sie ihm eine »so Jeans« für 200 Euro verpassen konnte. Währenddessen schaute ich mich im Laden um. Die Gepiercte hatte recht: Die Pullis waren zu klein. Die Jacken waren zu klein. Die Jeans auch. Vermutlich musste man eine ausgewachsene, veritable Essstörung haben, um hier einkaufen zu können. Ich wäre jedoch kein Amerikaner, wenn ich es nicht wenigstens versucht hätte, und wenn es sein musste – so sind wir Amis halt –, auch mit Gewalt. Also quetschte ich mich in eine Jeans und tatsächlich: Ich schaffte es. Die Jeans saß. Okay, der Reißverschluss konnte seine Aufgabe nicht mehr erfüllen, aber ansonsten war alles perfekt. Außer: Ich sah aus wie kastriert. Alles, was meine Geschlechtszugehörigkeit verraten könnte, war auf Nano-Niveau zusammengequetscht. Mein Nachkomme konnte froh sein, dass er bereits gezeugt worden war: Nach dem Tragen von ›so Jeans‹ hätte es ihn nie gegeben.
Während ich versuchte, die Jeans wieder zu verlassen (was die Hose zur »zweiten Wahl« machte), tauchte der Pubertierende wieder auf. In einer neuen Jeans, die aussah wie seine alte: völlig verwaschen und mit Löchern.
»Quentin, die Hose ist kaputt! Die hat einen Riss.«
»Papa! BITTE !«
Mein Sohn flehte darum, dass ich die Schnauze hielt, und die Verkäuferin schaute mich an, als dächte sie: ›Der arme Junge.‹
Aber ich machte es wieder gut. Ich zahlte. 146 Euro für eine gebrauchte Jeans mit Löchern. Ich beschloss, das nächste Mal eine aus dem Altkleidercontainer zu ziehen, ein paar hippe Etiketten dranzuheften und sie meinem Sohn zu verkaufen. Im Tausch gegen sein Taschengeld plus zehnmal Müllruntertragen.
Wieder draußen auf der Straße liefen wir an einem Unterwäscheladen vorbei. Mein Sohn war fasziniert von einer Boxershort für 65 Euro. Und weil ich gerade so gut drauf war, fing ich mir die nächste Watschen ein.
» 65 Euro für ’ne Unterhose, spinnen die?
»Wieso?«, entgegnete der junge Mann neben mir, »die ist doch
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