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Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Titel: Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Doyle
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schnarcht so laut, dass ich Angst habe, die Nachbarn könnten die Polizei rufen.
    »Kommen Sie bitte schnell, der Doyle würgt seinen Sohn!«
    »Sind Sie sich da ganz sicher?«
    »Ja, das macht er öfter, aber heute ist es besonders schlimm!«
    Um das zu verhindern, mache ich, was meine Frau normalerweise macht, wenn er nicht aufstehen will: Ich lüfte. Ihre Taktik, auch im Winter, lautet immer: Lüften. Alle Fenster so weit wie möglich aufreißen und – es funktioniert, allerdings nur bei minus zwei Grad:
    »Spinnst du? Willst du mich foltern?«
    »Nein, ich will nur, dass du aufstehst!«
    »Also doch foltern.«
    Dann vergleichen wir die Anzahl unserer Pickel, und der Tag kann endlich beginnen.

    Früher liefen unsere Gespräche sehr viel netter ab. Früher, als er noch ein Baby war. Oder noch früher, als er noch im Mutterleib war. Da wurde ich vielleicht ein paarmal gekickt, wenn ich meine Hand auf den Bauch meiner Frau legte, aber mehr auch nicht – und getroffen hat er auch nicht. Aber heute bin ich der »alte Mann«, und gemeint ist natürlich der »alte Sack«. Eine Demütigung, die den ganzen Tag bestimmt.
    So auch an jenem Samstag. Die Erniedrigung begann in der Kölner Ehrenstraße. Eine Straße, in der es besonders viele coole Läden mit schweinelauter Musik gibt. Weil mein Sohn trotz fortgeschrittenen Alters noch immer über kein eigenes Einkommen verfügt,
darf
ich ihn beim Klamottenkaufen begleiten. Vorausgesetzt, ich beachte den Sicherheitsabstand: Immer zwei Schritte hinter ihm. Wie eine afghanische Ehefrau. Statt Burka trage ich ein Baseball-Käppi, tief ins Gesicht gezogen.
    Bevor wir einen der megacoolen Läden aufsuchten, damit sich der Pubertierende etwas Hässliches zum Anziehen kaufen konnte, sprach uns eine junge, hübsche, gepiercte Frau noch auf der Straße an. Das tat sie allerdings nicht, weil ich so gut aussah; sie hatte vielmehr eine Botschaft in Form eines Flyers dabei: Werbung für einen Hiphop-Abend in einem Club am Kölner Ring. Das Verteilen des Flyers begleitete die junge Frau mit der überaus interessanten Information: »Black Beats! Black Beats!« Allen Passanten drückte sie diesen Flyer in die Hand.
Allen,
außer mir. Mein pubertierender Meister bekam sogar zwei! Ich streckte also meine Hand aus, um vielleicht doch noch Wissenswertes über »Black Beats« zu erfahren, aber sie zog den Flyer zurück. Ich sagte »Bitte!«, und sie guckte mich an, als wollte sie sagen: »Sorry, but I don’t speak German.«
    Meine Gehirnzellen synapsten vor Wut. Wenn ich darauf bestanden hätte, einen Flyer zu bekommen, hätte sie garantiert laut gerufen: »Entschuldigung! Aber das hier ist nicht
Florian Silbereisen,
das sind die Black Beats!«, und ich wäre vor Scham im Boden versunken. Ich fühlte mich gedemütigt, und das Grinsen des jungen Meisters machte mich noch rasender.
    »Quentin, ich werde die jetzt fragen, warum ich keinen Flyer kriege.«
    »Bist du blöde, Papa? Wenn du das machst, dann …«
    Für einen kurzen Moment, wenn auch nur in Gedanken, war ich wieder der Hauptidiot in den » RTL -Verdachtsfällen«: »Ey, wenn du das machst, Alda, bist du nisch mehr mein Vataa!«
    Ich haderte mit mir. Eigentlich wollte ich ja zu den »Black Beats« gehen! Ich wusste zwar nicht, was das war oder wer das war, aber ich wollte trotzdem hingehen. Oder sagen wir: Ich wollte das Gefühl haben, dass ich hätte hingehen können, wenn ich denn gewollt hätte. Aber ich wurde aussortiert, nur weil ich durch eine etwas frühere Geburt älter bin als mein Sohn. Letztlich siegte mein wacher Geist und meine Fähigkeit zu verzeihen über mein Aggressionspotential. Außerdem wollte ich mit dem jungen Mann, der zwei Schritte vor mir ging, ja noch zum Fußballspiel …
    Kurz darauf wurde ich doch noch von einer jungen Dame angesprochen. Sie war zwar nicht gepierct, aber jung war sie auch. Sie legte mir ein Probe-Abo für den Kölner Stadtanzeiger ans Herz. Aber ich wollte kein Probe-Abo, nicht mal mit Taschenwärmer als Werbegeschenk. Ich sagte: »Nein, danke, ich möchte kein Probe-Abo, ich möchte zu den
Black Beats
!« Das verstand sie irgendwie nicht, aber sie hakte auch nicht nach. Sie wischte nur mit der Hand vor ihrem Gesicht hin und her. Ich kannte die Geste von meiner Frau. Sie wendet sie immer an, wenn sie an meinem Verstand zweifelt. Also ungefähr jeden Tag.

    Seit einiger Zeit passiert mir so etwas ständig. Die Flyer-Verteiler für coole Clubs und Klamottenläden beachten mich nicht; die Leute

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