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Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition)

Titel: Die Welt ist eine Bandscheibe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Doyle
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von Leuten gespielt, die mindestens ebenso viele Orthopädenkontakte haben wie ich. Man trifft sich in der Clubkneipe und geht dann gemeinsam zu dem Platz, der von außen am wenigsten eingesehen werden kann. Es soll ja nicht jeder Dahergelaufene Zeuge unserer dilettantischen Ballwechsel werden. Auf dem Weg zum Tenniscourt geht man gemeinsam alle Körperbaustellen durch: Bandscheibe, Knie, Hüften, Nacken, »Rücken« allgemein, Ellbogen, Bänder, Sehnen, Schultern, und das alles gewürzt mit ein wenig Arthritis. Dann wechselt man ein paar Bälle, verzichtet auf ein Match, weil die Schulter bei den Aufschlägen nicht mehr mitmacht. Nach einer halben bis dreiviertel Stunde geht es für die nächsten drei Stunden zurück in die Clubkneipe. Dann unter die Dusche, frische Sachen anziehen, nach Hause fahren und stolz verkünden: »Boah,
drei
Stunden waren wir auf dem Platz!«
    Das wurde lange Zeit nicht hinterfragt, bis eines Tages der pubertierende junge Mann, der seit seiner Geburt bei uns wohnt, hämisch fragte: »Und … habt ihr Einzel- oder Doppel-Kölschsaufen gespielt?« Die als Frage getarnte Beleidigung wurde wie immer bei solchen Suggestivgeschichten vom hämischen Lachen seiner Mutter untermalt. Ich liebe solche Situationen. Es ist wie beim Tennis: Man glaubt, man spielt ein Einzel, dabei stehen auf der anderen Seite zwei Spieler, die dir jeden Ball um die Ohren hauen. Mist! Ich hatte glatt vergessen, dass der Pubertierende selbst Tennis spielt. Sogar im selben Verein und immer in Sichtweite der Clubkneipe.
    Auf jeden Fall war es eine peinliche Situation, und ich stammelte irgendwas vor mich hin. So etwas wie »Konnten nicht so lange … Klaus’ Schulter … mein Nacken …«, aber es war längst zu spät, die beiden hatten sich schon auf »John-Bashing« verständigt.
    Während sie also ihren Spaß hatten, dachte ich über die vergangenen Jahre nach.

    Früher war mein Sohn noch nicht in der Pubertät. Er war kleiner, er war netter und lustiger und von Anfang an ein Tennistalent. Mit fünf Jahren haben wir ihn im Verein angemeldet. Er bekam – schweineteure – Trainerstunden, und nebenbei hab ich auch noch mit ihm trainiert. Wir haben dann immer kleine Matches gemacht, und ich hab ihn natürlich gewinnen lassen. Bis er sechs Jahre alt war. Da hat er mich zum ersten Mal abgezogen. Toll! Ich war unheimlich stolz auf ihn.
    Danach habe ich ihn nicht mehr gewinnen lassen. Ich hab um jeden Ball »gefightet«, hab geflucht, hab mich mit ihm gestritten, ob ein Ball »in« oder »out« war. Das war lustig. Nicht für mich, aber für die Zuschauer: Da stand ein 1 -Meter- 90 -Mann auf dem Tennisplatz und stritt sich mit einem Kleinwüchsigen. Einmal hat mein Sohn nach so einem Match geweint.
    »Quentin«, sagte ich, »Männer weinen nicht!«
    »Aber ich bin doch ein Kind!«
    »Mhm … stimmt … dann wein ruhig weiter. Und mach dir nicht zu viele Gedanken über die Niederlage. Vielleicht spielt Papa einfach nur viel besser als du.«
    Keine Ahnung, was in mich gefahren war. Ich fühlte mich wie Olli Kahn. Ich war wie in einem Tunnel. Einige Eltern auf dem Nebenplatz glaubten, sich einmischen zu müssen.
    »Entschuldigen Sie bitte, aber so können Sie doch nicht mit einem Kind reden.«
    »Wieso ›Kind‹? Er ist ein Zwerg!« Dann war Ruhe. Nur mein Sohn fragte: »Papa, bin ich ein Zwerg?«
    »Nein, Quentin, natürlich nicht. Aber sei ruhig, wenn Erwachsene sich unterhalten.«
    Eine Frau hatte sogar einmal das Jugendamt eingeschaltet. Die haben dann einen Sozialarbeiter vorbeigeschickt. Ein netter Herr, so um die 40 . Als ich ihm die Situation erklärt hatte, dass ich jegliche Achtung, jegliche Autorität als Vater verlieren würde, wenn ich zuließe, dass mich mein sechsjähriger Zwerg schlägt, hatte er verstanden. Er hatte nämlich ein ähnliches Problem mit seinem achtjährigen Sohn, der ihn beim Rennradfahren immer abhängte.

    Wie gesagt: Das war, als mein Sohn sechs Jahre alt war. Mit sieben Jahren hatte ich diese Phase überstanden. Von da an ließ mein Sohn
mich
gewinnen. Während des Spiels hat er hin und wieder Anstrengung vorgegaukelt, damit ich auf die geschenkten Siege stolz sein konnte. Nach den Spielen hörte er sich sogar geduldig meine überflüssigen Tipps an. Woher ich das weiß? Mein Sohn ist Rechtshänder, und irgendwann war mir aufgefallen, dass er gegen mich
mit Links
spielte.
    Inzwischen ist er ein richtig guter Tennisspieler. Er war x-mal Verbandsmeister und steht ganz oben in der deutschen

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