Die Welt ist nicht immer Freitag
Die Tür stand offen. Die Wohnung war leer.
Auf dem Küchenbord lag ein Brief.
»Hallo Horst! Ich hoffe, ihr seid uns nicht böse, aber wir dachten, es ist besser, wenn wir uns nicht mehr sehen. Wir sind jetzt fast 50 Jahre verheiratet, und obwohl wir fast immer eine gute Zeit hatten, sind wir uns die letzten Jahre doch zunehmend auf die Nerven gegangen. Hamm die ganze Zeit aufeinandergehockt, wußten nichts recht mit uns anzufangen, und Fernsehn war uns auch langweilig. Also dachten wir, wir machen uns unsere eigene kleine Live-Fernsehshow, und ihr wart die Hauptdarsteller. Ihr wart wirklich toll. Wir haben sozusagen jede Folge begeistert eingeschaltet und richtig mitgefiebert. Danke.«
Was aus den beiden Alten geworden ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich bewohnen sie längst wieder in einer anderen Ecke der Stadt zwei Ein-Zimmer-Wohnungen und stricken an einer neuen Live-Show.
Mit Maria verstehe ich mich immer noch recht gut. Wir sind ziemlich gute Freunde geworden. Zuerst hatten wir gedacht, es könnte vielleicht auch mehr draus werden. War aber nicht.
Frau Petrescu schließlich bewegte sich aus Angst, mir nochmal im Hausflur zu begegnen, einige Zeit mit einer Strickleiter an der Hausfassade entlang zum Bürgersteig und zurück. Das ging aber auch nur so lange gut, bis ich einmal überraschend zum Lüften das Fenster aufgerissen habe und…
Noch im Krankenhaus hat sie meinetwegen Mietminderung beantragt. Ich weiß nicht, ob sie damit durchgekommen ist.
Tarife
Seit einiger Zeit hab ich Angst, zum Telefon zu greifen und jemanden anzurufen. Angst, ich könnte mit einem zu teuren Tarif telefonieren. Die Furcht irgendeiner Telefongesellschaft auch nur einen Pfennig mehr zu zahlen, als ich unbedingt muß, bringt mich um den Schlaf. Früher wußte ich genau, nachts um 2.00 Uhr is generell ziemlich günstig. Deshalb hab ich auch alle meine Freunde in Westdeutschland nachts um zwei angerufen, was meinen westdeutschen Freundeskreis stetig kleiner werden ließ. Trotzdem, wegen der ständigen nächtlichen Telefonate war ich tagsüber dann immer ganz kaputt. Bald zog ich mir eine schlimme Konzentrationsschwäche zu, irgendwann mußte ich mein Studium abbrechen, dann… Die Telekom hat mein Leben ruiniert. Das ist die Wahrheit. Ähnlich wie mir ging es vielen.
Grundsätzlich allerdings wird das Telefonieren schon immer günstiger. E-Plus zum Beispiel soll ernsthaft darüber nachdenken, für ein Gespräch zwischen zwei Handys ihrer Gesellschaft nur noch 0,2 Pfennig pro Minute zu verlangen, sofern sich beide Handys in ein und demselben Raum befinden.
Andere Gesellschaften planen den »Leben auf der Kante-Tarif«. Er beginnt zu jeder vollen Stunde bei 95 Pfennig pro Minute, arbeitet sich dann immer weiter runter, bis er in den negativen Bereich wechselt, man also kurzzeitig fürs Telefonieren sogar Geld von der Telefongesellschaft bekommt, um dann gegen Ende der vollen Stunde plötzlich unangekündigt auf tausend Mark pro Minute zu springen. Diese ca. zweiminütige Tausendmarkphase nennt man dann den Auha-Tarif.
Dieser Auha-Tarif scheint der momentanen Verfassung der Telefongesellschaften völlig zu entsprechen. Es ist, als seien sie der Spielleidenschaft, dem Zockertum verfallen.
Ich vermute ja, wenn ich morgen zur Telekom gehen würde, ihnen meine Rechnung auf den Tisch knalle: Hier 74 Mark 83, is nich viel, wat is? Hier issn Würfel! Doppelt oder nix! Ich glaub, die würden's machen.
Sex in der Wahlkabine
Ein Mittwoch morgen Ende August. Frau Maltke aus meinem Stammkiosk begrüßte mich mit einem knackigen: »Ich glaube, wir kriegen einen richtig harten Winter!« Aha. Gestern noch hatte sie mich mit ihrer Sommerbegrüßung: »Das soll ja noch richtig heiß werden« empfangen. Damit war es amtlich. Der Begrüßungswechsel von Frau Maltke gilt in Insiderkreisen seit Jahren als offizieller Starttermin für eine neue Jahreszeit. Von nun an war also Herbst. Na toll. Wieder war ein Frühling und ein Sommer vertan, und ich stand erneut im Herbst dumm rum, ohne die Liebe meines Lebens gefunden zu haben. Super. Wie viele Frühlinge und Sommer würden mir wohl noch bleiben? Mich befiel eine Nachdenklichkeit, die schon fast in Melancholie läppte, eine regelrechte Herbststimmung. Na, hatte Frau Maltke mit ihrer Verkündung des Jahreszeitwechsels doch wieder recht gehabt.
Ich kaufte eine Zeitung, und noch auf der Straße schlug ich den Teil mit den Bekanntschaftsanzeigen auf, um mal zu gucken, wer noch so alles vom Frühjahr
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