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Die Welt ist nicht immer Freitag

Titel: Die Welt ist nicht immer Freitag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
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gesamten Gewicht in denselben krache und ihn gleichsam zertrümmere.
    Um herauszufinden, ob mir jetzt schwarz vor Augen geworden ist, nehme ich nun endlich die Augenbinde ab. Leider kann ich alles sehen. Ich blicke auf eine lamentierende Frau Petrescu und ihr schreiendes Kind, das sie erfreulicherweise auf dem Arm trägt. Ich versuche die angespannte Situation durch ein nun wirklich angemessenes: »Na, hätt schlimmer kommen können« aufzulockern, aber ich dringe nicht durch. Statt dessen redet die Deutschrumänin sinngemäß auf mich ein, was das für ein Gott sei, der sie Ceaucescu und der Securitate entkommen läßt, um sie dann in ein Haus, in dem ich wohne, zu führen. Ich beschließe, daß für eine vernünftige Diskussion das Maß an Voreingenommenheit gegenüber mir jetzt einfach zu groß ist, sammle die Kinderwagentrümmer auf, murmel etwas wie: »Kein Problem, reparier ich«, gehe zurück in die Wohnung und schließe die Tür.
    Herr Jennatschek hat sich mittlerweile eine Zigarette angezündet.
    - Alles in Ordnung, Herr Evers?
    - Klar, alles paletti, also mal abgesehen von den zwei, drei Rippen, die ich mir vermutlich gerade gebrochen habe.
    - Ach. Tun Se die Nacht über Penatencreme drauf, dann ist das morgen wieder gut. Herr Evers, ich brauche Hilfe, und Sie sind der richtige Mann für den Job.
    - Ich? Ich war noch nie der richtige Mann für irgendwas.
    - Doch, doch. Sie wissen doch, vor einem halben Jahr ist meine Frau gestorben.
    - Verstehe. Und jetzt sind Sie deprimiert, wollen auch sterben und denken, wenn Sie sich nur lange genug in meiner Wohnung aufhalten, passiert das von ganz allein.
    - Im Gegenteil. Ich habe jemanden kennengelernt. Über Internet.
    Herr Jennatschek ist erst vor gut zwei Monaten in unser Haus gezogen. Da er niemand anders hatte, hab ich ihm beim Einzug geholfen. Sein Hausstand ist für einen Mann seines Alters, Mitte 70 würd ich schätzen, extrem spartanisch. Ein Bett, zwei/drei Koffer mit Wäsche, ein Schreibtisch, darauf die supermoderne Computer- und Telefonanlage, in der Küche noch ein Stuhl, ein Tisch. Das ist alles, damit bewohnt er eine kleine Einzimmerwohnung in unserem Haus. Jennatschek hat mir seinerzeit erklärt, daß nach dem Tod seiner Frau einfach zu viele Erinnerungen an sie in ihrem gemeinsamen Haus waren. Er hat es einfach nicht ertragen können, es andererseits aber auch nicht übers Herz gebracht, das Haus zu verkaufen. Also hat er sich nur das Nötigste, das er zum Leben braucht, genommen und verbringt seine Tage nun zumeist vor dem Computerbildschirm im Internet. Tauscht Mails mit aller Welt aus.
    - Sie haben eine Frau übers Internet kennengelernt. Aber das ist doch prima.
    - Ja, nicht? Und stellen Sie sich vor, sie ist sogar aus Berlin und will mich unbedingt kennenlernen. Die Sache hat nur einen Haken, wissen Sie, sie ist sehr viel jünger als ich.
    - Verstehe. Und Sie haben sich natürlich als dynamischen, gutaussehenden, gepflegten, niveauvollen, intelligenten, attraktiven jungen Mann Mitte dreißig beschrieben.
    - Nein, ganz im Gegenteil, ich habe ihr von vornherein immer nur Sie beschrieben, Herr Evers.
    - Mein ich doch.
    - Nein, ich habe Sie dann ganz ehrlich beschrieben, was aber nicht so schlimm war, weil ihr Äußerlichkeiten wohl nicht so wichtig sind. Jennatscheks Charme war in etwa so verführerisch wie Pendelverkehr. Ich ließ mir nichts anmerken.
    - Hör mal, Jennatschek, ich sehe vielleicht etwas individuell aus, aber trotzdem bin ich ja wohl charmant, gepflegt und niveauvoll, oder was?
    Jennatschek blickt auf mein durchnäßtes T-Shirt mit den Marmeladenflecken, den leicht blutenden Hinterkopf und die umgestürzten und auslaufenden Marmeladengläser auf dem Tisch. Ich sage nichts mehr.
    - Sie heißt Maria. Sie treffen sich mit ihr morgen nachmittag. Ich mag die E-mail-Korrespondenz mit ihr sehr, und ich möchte, daß das weitergeht. Bitte vermasseln Sie es nicht.

    Das war vor genau zwei Wochen. Ich habe mich tags drauf mit Maria getroffen, und wir fanden uns sympathisch. Sehr sympathisch sogar. Der Nachmittag mit ihr hat großen Spaß gemacht. Insgesamt gab es jetzt vier Treffen. Und nach jedem einzelnen sehnte ich das nächste wieder herbei. Die Verabredungen traf natürlich immer Jennatschek mit ihr per Computer, das war unser Deal. Wegen mir hätten es ruhig noch viel mehr Verabredungen sein dürfen, aber ich traute mich nicht, eigenen, sozusagen privaten Kontakt zu Maria aufzunehmen, ja ich wagte es nichtmal, sie nach ihrer

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