Die Welt ist nicht immer Freitag
Taschen warte. Als sie an mir vorbeifahren, bin ich allerdings viel zu fertig, um sie runterzunehmen, immerhin schaffe ich es, ihnen noch kurz zuzuwinken. Dann falle ich nach vorne auf das Laufband und schlafe wieder ein.
Eine offensichtlich stark kurzsichtige Frau verwechselt mich mit ihrem Gepäck, packt mich am Kragen und nimmt mich vom Band.
Nachdem wir in ihrem Hotel angekommen sind, will sie ihre Sachen aus mir herausnehmen. Davon wache ich auf. Sie bringt mich zurück zur Gepäckaufbewahrung des Flughafens und tauscht mich gegen ihren Koffer ein.
Gabi ist mit meinen Taschen auch noch da. Jetzt wird alles gut.
Die ersten fünf Tage in Barcelona hab ich mich erstmal richtig ausgeschlafen. Dann hatten wir zwei prima Urlaubstage, bis Gabi den schlimmen Satz sagte:
- Ohh, in drei Tagen müssen wir schon wieder zurückfliegen.
- Fliegen? Wir fliegen nochmal? Noch drei Tage zu leben, ich überlege, was ich noch unbedingt in meinem Leben machen möchte. Mir fällt nix ein…
Der Berg ruft
Ein Bus bringt mich von Chur nach Haldenstein am Fuße der Graubündener Alpen. Ich durchquere das Dorf, und vor mir liegen Berge, wie ich sie so aus meiner niedersächsischen Kindheit gar nicht kenne. Irgendwo da oben liegt Altsäß, eine Kuhalp, auf der Jutta und Thomas, zwei Freunde, dreieinhalb Monate lang auf 80 Rinder und 16 Milchkühe aufpassen, um so die berühmte Alpenmilch zu gewinnen. In einer Stunde mittlerer Unzurechnungsfähigkeit habe ich versprochen, sie dort zu besuchen, und jetzt ist es soweit. Vor mir liegt ein Fußweg von knapp 15 Kilometern, bei einem Höhenunterschied von über 1200 Metern. Erfahrene Bergsteiger wissen, daß es da zwischenzeitlich ganz schön steil raufgeht. Ich bin nicht unbedingt ein erfahrener Bergsteiger, genaugenommen ist es das erstemal, daß ich im Begriff bin, überhaupt auf irgendeinen Berg raufzusteigen, mal abgesehen vom Stemweder Berg, 160 Meter über dem Meeresspiegel. Boarhh, wenn ich da mittem Rad raufgemußt hatte, meine Herren, da war ich aber immer ganz schön kaputt gewesen. Und hier geht das jetzt achtmal so hoch, und ich hab nichmal'n Fahrrad. Jungejungejunge. Da stehe ich nun. Ein Mann vor einem Berg. Ein imposantes Bild. In Kürze wird hier ein weiteres Kapitel im Buch des ewigen Kampfes zwischen Mensch und Natur geschrieben stehen.
Entschlossen schaue ich den Berg an. Der Calanda, Freunde nennen ihn: Berg des Todes. Für einen kurzen Augenblick habe ich das Gefühl, als würde er auch mich angucken, und ich spüre in seinem Blick so etwas wie Respekt, vielleicht sogar Angst, ein gutes Gefühl. Ich schnalle mir meinen großen schweren Rucksack auf den Rücken, hänge den kleinen, fast genausoschweren, mit zwanzig Büchern, Zeitschriften und, falls ich Heimweh bekomme, einem Berliner Stadtplan, gefüllten Rucksack vor den Bauch, richte mich auf und rufe mit fester Stimme: »Wohl an!!!« Die Einheimischen beobachten mich, das unwiderstehliche niedersächsische Kraftpaket, und haben offensichtlich Angst um ihren Berg. Zumindest verständigen sie vorsorglich die Bergwacht.
Ich beginne den Aufstieg. Rund fünf Stunden soll der dauern, pah, fünf Stunden Schweizer Tempo, das sind wie viele Stunden deutsches Tempo? Also sagen wir mal, das war doch gelacht, also ungefähr schaff ich das doch aber locker in, na sagen wir mal vier, na aber höchstens viereinhalb Stunden, aber sagen wir mal, aber hallo, jawohl!!! Und, da lauf ich ja auch schon. Hoi, schon toll, wie ich hier leichten Schrittes den Berg raufstürme, 100, 200, 300 400 Meter, wie nix, jaa, 500, 600, Mensch das geht richtig gut, 700, 800, obwohl jetzt werden die Beine langsam nen bißchen, ohohoh, 900, ojeojeoje, 910, 915, 916, 9… oooha. Ich breche das erstemal zusammen. Ein neuer Gedanke betritt mein Stammhirn, ein Gedanke, der für die nächste Woche zum Kern all meiner Überlegungen werden soll. Ich denke: Berge sind scheiße! Dann aber schon wieder kreative Ideen. Beschließe, den Rucksack mit den Büchern irgendwo im Unterholz zu verstecken und nächste Woche auf dem Abstieg hier wieder abzuholen. Eine sehr gute Idee. Schleppe mich dann weiter. Komme ohne den Bücherrucksack immerhin zwei Kilometer weit, bis ich wieder zusammenbreche. Ertappe mich bei dem Wunsch, eine Steinlawine möge niederkommen und mich erschlagen. Werfe einige Steine den Berg rauf, aber es will einfach keine Lawine ins Rollen kommen. Bin enttäuscht. Das also meint Luis Trenker, wenn er vom Berg ohne Gnade spricht. Verstecke noch mehr
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