Die Welt ist nicht immer Freitag
womöglich in den falschen Hals, gibt's ja, so Leute, Menschen können so pingelig sein.« So total rücksichtsvolle Gedanken denk ich nämlich noch. Erst dann schlummere ich weg. Und wenn ich dann wieder aufwache, bin ich auch sofort wieder voll da. Weiß über alles Bescheid.
»Aaaah, guten Morgen, warum bist du da? Ach so, ja, wir unterhalten uns gerade. Jaa. Toll. Ah. Dann kriegt ihr also auch bald Nachwuchs. Ja, da gratulier ich doch mal.«
So wacht man doch mitten ins Leben auf, und verbringt nicht den ganzen Tag im Bett mit Fragen wie: Wenn ich aufs Zähneputzen verzichte, kann ich noch fünf Minuten länger liegenbleiben. Wenn ich aufs Frühstück verzichte nochmal sieben. Ach, zwölf Minuten reichen doch mit der BVG von Kreuzberg nach Mitte. Wenn ich aufs Anziehen verzichte, spar ich nochmal drei Minuten. Dann brauch ich auch keine Entschuldigung fürs Zuspätkommen, wenn man nackt zur Verabredung kommt, stellt keiner mehr Fragen übers Zuspätkommen. Was man halt so denkt, wenn man den Wecker ausgeschaltet hat, kurz bevor man nochmal tief und fest einschläft.
Einschlafen kann ich eigentlich immer. Nur jetzt nicht. Gehe zum Spiegel und gucke, ob ich überhaupt müde bin. Ja, ich sehe so müde aus wie immer. Komisch. Hole mir das Telefon ans Bett und sage alle, sämtliche Verabredungen für die nächsten Tage ab. Das Einschlafproblem hat jetzt absolute Priorität. Muß vier Anrufe machen, bis ich endlich zumindest eine Verabredung habe, die ich dann absagen kann. Danach liege ich weiter auf dem Bett und starre an die Decke. Nach zwei Tagen kriege ich Hunger.
Rufe meinen Nachbarn an:
- Hallo, hier ist Horst, kannst du für mich den Pizza-Service anrufen?
- Warum machst'n das nicht selbst?
- Ach, weißte, ich nehm doch nur immer Pizza-Salami, is mir langweilig. Such du was für mich aus. Dann hab ich ne Überraschung, was, worauf ich mich freuen kann.
Ich lege auf. Immerhin lenkt der Hunger von der Angst ab. Werde spürbar ruhiger. Zu Recht, so dermaßen unwahrscheinlich wie ein zweiter Absturz ein und derselben Linie. So unwahrscheinlich wie…
Das Telefon klingelt wieder. Mein Bruder.
- Mensch Horst, stell dir vor. Onkel Richard hat sechs Richtige im Lotto!
Um Gottes willen. Die Panik kehrt zurück.
- Aber weshalb ich eigentlich anrufe. Nimm dir Ostern bitte nix vor. Max, dein Patenkind mußte doch Weihnachten im Krankenhaus feiern. Deshalb haben wir beschlossen, das an Ostern einfach zu Hause nachzuholen. Verstehst du, dann hat er Ostern und Weihnachten an einem Tag. Da darfst du nicht fehlen.
Entsetzt werfe ich den Hörer auf die Gabel, renne in die Küche, mache mir eine ganze Kanne heißen Kaffee und schütte ihn mir über den Kopf. Dann klingelt der Pizza-Service.
Überlege, ob ich ihm so öffnen soll, denke, wenn ich nur selbstbewußt genug gucke, merkt der's gar nicht. Ich öffne.
- Eine Vegetaria Maxi der Herr. Macht 17,40 DM.
- Danke.
- Übrigens, auch, wenn Sie noch so selbstbewußt gucken, ich sehe genau, daß Sie sich gerade eine Kanne Kaffee über den Kopf geschüttet haben. Ich glaub' das bringt nix, Kaffee ist zwar sehr belebend, aber Ihr Haarwuchs wacht auch davon, glaub ich, nicht wieder auf.
Ich nicke, zahle und schließe die Tür. Vegetaria, Mist, hätte lieber Salami gehabt. Den Rest des Tages und der Nacht liege ich wach. Zum drittenmal nacheinander.
Am nächsten Morgen geht der Flug. Ab 5 Uhr packe ich: Zwei große Taschen, weil ich auch alles einpacke, was meine Eltern nicht finden sollen, wenn sie die Wohnung auflösen. Um acht holt Gabi mich ab.
Ich erkläre ihr meine letzten Tage. Trotzdem zwingt sie mich, eine U-Bahn-Karte zu kaufen. Es kommt, wie es kommen muß. Nach nur drei Stationen werden wir kontrolliert. Es ist passiert. Das dritte Zeichen. Auf einmal bin ich wieder völlig klar und logisch, also brülle ich: »Das ist der Beweis, wir werden alle sterben, ich steige nicht in dieses Flugzeug, nein, nein, nein, auf gar keinen Fall, nein.«
Gabi nimmt geistesgegenwärtig meine Karte, zerreißt sie und wirft die Schnipsel in den Waggon. Gerettet. Erleichtert zahle ich die 60 Mark. Puh, das war knapp.
Aber jetzt kann ich endlich gelassen in das Flugzeug steigen. Beschließe trotzdem, vorsichtshalber den ganzen Flug über die Luft anzuhalten. Man weiß nie, wofür's gut ist. Als mir die Luft ausgeht, übermannt mich die Müdigkeit der letzten drei Tage. Irgendwann landen wir in Barcelona, und Gabi stellt mich vor das Gepäcklaufband, damit ich auf meine
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