Die Welt ohne uns
Ladung war so schwer, dass das Schiff dort blieb, wo die Strömung es im Schlamm begrub. Die Radiokarbondatierung der zur Ladung gehörenden Mandeln, die wahrscheinlich erst wenige Tage zuvor auf Zypern gepflückt worden waren, ergab, dass das Schiff vor rund 2300 Jahren gesunken war.
Unter Sauerstoffabschluss blieben die Kiefernholzplanken und -spanten intakt, obwohl Polyäthylenharze eingespritzt werden mussten, damit das Holz nicht an der Luft zerfiel. Die Bootsbauer hatten Nägel aus Kupfer verwendet, ein Material, das nicht rostet und früher reichlich auf Zypern vorhanden war. Genauso gut erhalten sind die Bleigewichte zum Beschweren von Fischernetzen und die Tonkrüge, deren unterschiedliche Stile verraten, aus welchen ägäischen Häfen sie stammen.
Die zehn Fuß dicken Mauern und runden Türme der Burg, in der das Schiff nun ausgestellt wird, sind aus Kalkstein erbaut, der aus den Steinbrüchen in der Umgebung gewonnen wurde und winzige Fossilien aus der Zeit enthält, als Zypern noch unter der Oberfläche des Mittelmeers lag. Seit der Teilung der Insel sind die Burg und die schönen alten Lagerhäuser aus Stein am Hafen von Kyrenia fast hinter den hässlichen Fassaden der Casinohotels verschwunden -Glücksspiel und großzügige Devisenbestimmungen gehören zu den begrenzten wirtschaftspolitischen Optionen eines Landes, dem die internationale Anerkennung verweigert wird.
Hikmet Ulugan fährt an Zyperns Nordküste entlang nach Osten, vorbei an drei weiteren Kalksteinburgen, die sich aus den zerklüfteten Bergen neben der schmalen Straße erheben. Entlang der Landzungen und Vorgebirge über dem topasfarbenen Mittelmeer liegen die Überreste von Steindörfern, die teilweise sechstausend Jahre alt sind. Noch vor Kurzem waren auch ihre Terrassen, halb versunkenen Mauern und Wellenbrecher zu bewundern. Doch seit 2003 leidet das Erscheinungsbild der Insel unter einer weiteren Fremdeninvasion. »Der einzige Trost ist, dass diese hier nicht von Dauer sein kann«, meint Ulugan bekümmert.
Dieses Mal sind es keine Kreuzfahrer, sondern Briten fortgeschrittenen Alters, die für ihren Ruhestand das wärmste Plätzchen suchen, das bei einer Mittelschichtsrente erschwinglich ist. Angelockt werden sie von einer Horde hysterischer Immobilienmakler, die in dem PseudoStaat Nordzypern mit seinen großzügig auslegbaren Flächennutzungsplänen die letzten preiswerten und unberührten Seegrundstücke nördlich von Libyen entdeckt haben. Plötzlich schoben Bulldozer 500 Jahre alte Olivenbäume beiseite, um auf den Hügelhängen Straßen anzulegen. Felder roter Ziegeldächer ergossen sich über die Landschaft, immer gleiche Grundrisse wurden in Gussbeton geklont. Mit der Flutwelle baren Geldes wurde mit den Immobilienhaien auch eine unabsehbare Zahl englischsprachiger Plakatwände an die Küste gespült, auf denen hochtrabend »Landsitze«, »Meeresvillen« und »Luxusdomizile« beworben werden.
Grundstückspreise von 40000 bis 100000 Pfund (60000 bis 150000 Euro) lösten eine Goldgräberstimmung aus, die sich über Nebensächlichkeiten wie Besitzansprüche griechischer Zyprioten bedenkenlos hinwegsetzte. Vergeblich protestierte ein nordzyprischer Umweltschutzverband gegen einen neuen Golfplatz, indem er die Verantwortlichen daran erinnerte, dass sie das Wasser jetzt in riesigen Vinyltanks aus der Türkei herbeischaffen müssten, dass die kommunalen Müllhalden voll seien und dass infolge eines kompletten Mangels an Kläranlagen fünfmal so viele Abwässer in das klare Seewasser eingeleitet würden.
Jeden Monat fressen sich mehr Riesenbagger wie gefräßige Dinosaurier durch die Küstenregion und spucken Oliven- und Johannisbrotbäume links und rechts eines immer breiter werdenden Asphaltstreifens fünfzig Kilometer östlich von Kyrenia aus. Ein Ende ist nicht absehbar. So breitet sich diese unsägliche Architektur die Küste entlang aus und unzählige Schilder preisen die neuesten Parzellierungen mit bombastischen Bezeichnungen an, obwohl die sogenannten Luxusvillen immer schäbiger werden: der Beton nicht mit Stuck verziert, sondern nur gestrichen; die imitierten Tonziegel aus Kunststoff; Zier- und Fenstersimse mit falschen, vorfabrizierten Natursteinen beklebt. Als Hikmet Ulugan einen Stoß traditioneller gelber Ziegel vor dem nackten Gerippe eines Reihenhauses entdeckte, wurde ihm klar, dass jemand die Steinverblendungen von einheimischen Brücken abriss und sie an die Bauunternehmer verkaufte.
Etwas am Anblick dieser
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