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Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Weisman
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Kalksteinquader, die zu Füßen der Gebäudeskelette lagen, mutete ihn seltsam vertraut an, bis er wusste, was es war: »Es sieht aus wie Varoscha.« Die halb fertigen Gebäude, umgeben von Baumaterialien, waren ein genaues Ebenbild der halb zerfallenen Ruinen von Varoscha.
    Und die Qualität sinkt weiter, so weit das überhaupt möglich ist. Jede Reklametafel, die Nordzyperns neue, sonnenverwöhnte Traumhäuser anpreist, erwähnt erst im Kleingedruckten die Baugarantie: zehn Jahre. Wenn die Gerüchte stimmen und sich die Bauunternehmer nicht einmal mehr die Mühe machen, das Salz aus dem Seesand zu waschen, den sie sich für ihren Beton von den Stränden holen, werden diese Häuser auch kaum mehr als zehn Jahre halten.
    Jenseits des neuen Golfplatzes wird die Straße schließlich wieder schmaler. Hinter einer einspurigen Brücke, die ihrer Kalksteinornamente beraubt wurde, und einer kleinen Felsschlucht, in der Myrrhe und rosa Orchideen blühen, erreicht sie die Halbinsel Karpaz, den langen Fühler, der sich nach Osten der Levante entgegenstreckt. Überall stößt man auf leere griechische Kirchen, die ausgebrannt, aber unerschütterlich die Dauerhaftigkeit der Natursteinarchitektur bezeugen. Steinbauten gehörten zu den ersten Errungenschaften, welche die sesshaften Menschen von den nomadischen Jägern und Sammlern unterschieden, deren Hütten aus Lehm und Zweigen nicht dauerhafter waren als die einjährigen Gräser. Steingebäude werden uns am längsten überdauern. In dem Maße, wie die unbeständigen Stoffe der modernen Bautechnik zerfallen, wird die Erde unsere Spur bis in die Steinzeit zurückverfolgen und auf dem Weg dorthin alle Erinnerungen an uns auslöschen.
    Je weiter die Straße auf die Halbinsel vordringt, desto unberührter wird die Landschaft. Alte Mauern verwandeln sich wieder in Hügel, da die Schwerkraft an dem lehmigen Untergrund zerrt. Die Landzunge endet in Sanddünen, die mit Salzbüschen und Pistazienbäumen bewachsen sind. Der Strand ist glatt gewalzt von den Bäuchen der weiblichen Meeresschildkröten.
    Auf einem kleinen Kalksteinhügel steht eine einsame Schirmkiefer, das Geäst weit ausgebreitet. Schatten auf der Felswand erweisen sich als Höhlen. Beim Näherkommen zeigt der sanfte Schwung eines niedrigen Torbogens an, dass er in den Fels gegraben wurde. Auf dieser windigen Landspitze, keine sechzig Kilometer von der Türkei entfernt und nur dreißig weitere von Syrien, begann auf Zypern die Steinzeit. Die Menschen trafen hier etwa zur selben Zeit ein, als in Jericho, der ältesten noch bewohnten Stadt der Welt, das älteste dokumentierte Bauwerk der Erde, ein Steinturm, errichtet wurde, ca. 9000 v. Chr. Doch so primitiv diese zyprische Behausung im Vergleich erscheinen mag, sie zeugt von dem gewaltigen Schritt, als sich von Syrien aus Seefahrer aufs Meer und über den Horizont hinauswagten und eine neue Küste fanden.
    Die Höhle ist niedrig, vielleicht sechs Meter tief und überraschend warm. Eine kohlegeschwärzte Feuerstelle, zwei Bänke und Schlafnischen sind in die Wände aus Sedimentgestein gehauen worden. Ein zweiter Raum, kleiner als der erste, ist fast quadratisch und besitzt einen ebenfalls quadratischen Zugang.
    Fossile Überreste des Australopithecus in Südafrika lassen darauf schließen, dass wir schon vor mindestens einer Million Jahren Höhlenmenschen waren. Das französische Höhlensystem Chauvet Pontd'Arc im Steilufer eines Flusses wurde vor 32000 Jahren nicht nur von Cro-Magnon-Menschen bewohnt, sondern auch zur ersten Kunstgalerie der Menschheit ausgestaltet; die Bilder dort zeigen die europäische Megafauna.
    Hier gibt es keine solchen Kunstwerke, doch die Knochen der ersten Bewohner Zyperns vor 11000 Jahren sind unter der Erde begraben. Lange nachdem unsere Bauwerke und die Reste des Turms von Jericho zu Sand und Erde zerfallen sind, werden die Höhlen bleiben, in denen wir einst Zuflucht suchten, und in einer Welt ohne uns auf die nächsten Bewohner warten.

8    Was bleibt
     
    Es ist nicht recht zu erkennen, was die riesige runde Kuppel der Hagia Sophia in Istanbul trägt, diese einst christlichorthodoxe Kirche mit ihren Marmorornamenten und Mosaiken. Mit einem Durchmesser von mehr als dreißig Metern ist die Kuppel zwar etwas kleiner als die des Pantheons in Rom, dafür aber erheblich höher. Kunstfertige Architekten verteilten ihr Gewicht an der Basis auf eine Kolonnade von Bogenfenstern und verliehen ihr dadurch etwas Schwebendes. Der Blick geht direkt nach

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