Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Weisman
Vom Netzwerk:
sind sich alle einig, ist nichts mehr zu retten. Gar nichts. Um jemals wieder Touristen anlocken zu können, müsste Varoscha dem Erdboden gleichgemacht und neu aufgebaut werden.
    Inzwischen setzt die Natur ihr Rekultivierungsprojekt fort. Wilde Geranien und Philodendren wachsen aus Gebäuden mit fehlenden Dächern hervor und klettern an den Außenmauern hinunter. Flaschenbäume, Paternosterbäume, dichte Hibiskus-, Oleander- und Fliederbüsche sprießen in Winkeln, wo die Grenzen zwischen innen und außen verschwimmen. Häuser verschwinden unter magentafarbenen, hügelgleichen Bougainvilleengebüschen. Eidechsen und Schlanknattern huschen durch Dickichte von Wildem Spargel, Feigenkakteen und mannshohen Gräsern. Ein dichter Teppich von Zitronengras verbreitet sein zartes Aroma. Bei Nacht gehört der stockdunkle Strand – unbehelligt von Touristen, die es bei Mondlicht ins Wasser ziehen könnte – den Karett- und Suppenschildkröten, die dort ihre Eier verscharren.
     
    Die Insel Zypern ist wie eine Bratpfanne geformt, deren langer Griff sich in Richtung der syrischen Küste erstreckt. Die Pfanne selbst wird in ostwestlicher Richtung von zwei Bergketten durchzogen, die in der Mitte durch eine breite Talsenke geteilt ist – und durch die Grüne Linie, mit je einem Gebirgszug zu beiden Seiten. Die Berge waren einst mit Aleppo- und Schwarzkiefern, Eichen und Zedern bewachsen. Ein Zypressen- und Wacholderwald bedeckte das gesamte Tiefland zwischen den beiden Bergketten. Auf den trockenen, seewärts gelegenen Hängen wuchsen Oliven-, Mandel- und Johannisbrotbäume. Am Ende des Pleistozäns streiften Zwergelefanten, nicht größer als Kühe, und Zwergflusspferde von den Ausmaßen eines Hausschweins unter diesen Bäumen umher. Da Zypern nie über eine Landbrücke mit dem Festland verbunden war, müssen beide Arten offenkundig schwimmend dorthin gelangt sein. Vor rund zehntausend Jahren folgten ihnen die Menschen. Mindestens eine archäologische Fundstelle lässt darauf schließen, dass das letzte Zwergflusspferd von Homo sapiens gejagt, getötet und aufgegessen wurde.
    Die Bäume auf Zypern waren bei assyrischen, phönizischen und römischen Bootsbauern sehr beliebt; während der Kreuzzüge wurden die meisten für den Bau der Kriegsschiffe von Richard Löwenherz geschlagen. Inzwischen hatte sich die Ziegenpopulation so vermehrt, dass die Ebenen baumlos blieben. Während des 20. Jahrhunderts pflanzte man Schirmkiefern, um frühere Quellen neu zu beleben. Doch nach einer langen Trockenperiode gingen 1995 fast alle von ihnen mitsamt dem Rest des ursprünglichen Waldes durch Blitzschlag in einem Flammenmeer unter.
    Der Journalist Metin Münir verspürte wenig Lust, noch einmal von Istanbul aus zurückzukehren, um seine in Asche liegende Heimatinsel wiederzusehen. Doch der türkischzypriotische Gartenbauexperte Hikmet Ulugan überredete ihn, sich unbedingt anzusehen, was dort geschah. Münir konnte beobachten, dass die Blumen Zyperns Landschaft erneuerten: Die verbrannten Hügelhänge waren mit rotem Mohn bedeckt. Einige Mohnsamen, so erfuhr er von Ulugan, überleben tausend Jahre und mehr, um aufzugehen, sobald ein Feuer die Bäume beseitigt hat.
     
    In dem Dorf Lapta, hoch über der Nordküste der Insel, baut Hikmet Ulugan Feigen, Alpenveilchen, Kakteen und Wein an, außerdem hält er den ältesten Hängemaulbeerbaum Zyperns in Ehren. Schnauzer, Spitzbart und die verbliebenen Haarbüschel sind weiß geworden, seit er als junger Mann gezwungen wurde, den Süden zu verlassen, wo sein Vater einen Weinberg besaß und Schafe, Mandeln, Oliven und Zitronen zog. Zwanzig Generationen von Griechen und Türken hatten sich ein Tal geteilt, bis die sinnlose Fehde zwischen den Volksgruppen Hikmets Heimatinsel zerriss.
    Von seinem Garten kann er auf den Hafen von Kyrenia sehen; er wird von einer byzantinischen Burg aus dem 7. Jahrhundert gesichert, die auf den Grundmauern einer früheren römischen Befestigungsanlage erbaut wurde. Später haben Kreuzfahrer und Venezianer sie erobert; dann kamen die Osmanen, anschließend die Briten und nun waren wieder die Türken an der Reihe. Die Burg, die heute als Museum dient, beherbergt eines der weltweit seltensten Exponate: ein 1965 entdecktes, vollständig erhaltenes griechisches Handelsschiff, das anderthalb Kilometer vor der Küste von Kyrenia auf Grund lief. Als es unterging, war sein Laderaum gefüllt mit Mühlsteinen und Hunderten von Tonkrügen, die Wein, Oliven und Mandeln enthielten. Die

Weitere Kostenlose Bücher