Die Welt ohne uns
Sicherheitsvorrichtungen des Systems begründet ist – oder der scheidende Ölarbeiter in einem letzten Akt der Loyalität den Druck der Türme herunterfährt und die Feuer eindämmt –, wird der weltweit größte Industriekomplex der Petrochemie etwas länger für sein Verschwinden brauchen. Während der ersten Jahre blättert die Rostschutzfarbe ab. Im Laufe der nächsten zwanzig Jahre überschreiten alle Speichertanks ihre Lebenserwartung. Bodenfeuchtigkeit, Regen, Salz und Texaswinde setzen den Tanks zu, bis sie undicht werden. Bis dahin hat sich das gesamte schwere Rohöl verfestigt; Wettereinflüsse übernehmen das Cracken, ehe es schließlich von Insekten verzehrt wird.
Alle flüssigen Treibstoffe, die noch nicht verdunstet sind, versickern im Boden. Wenn sie aufs Grundwasser stoßen, schwimmen sie oben, weil Öl leichter als Wasser ist. Einige Mikroorganismen erkennen, dass diese Stoffe früher auch nur pflanzliches Leben waren, und lernen in einem allmählichen Anpassungsprozess, sie zu fressen. Die Gürteltiere kommen zurück und graben sich ihre Höhlen in der gereinigten Erde zwischen den verrottenden Überresten unterirdisch verlegter Röhren.
Sich selbst überlassene Ölfässer, Pumpen, Rohre, Türme, Ventile und Bolzen rosten an ihren schwächsten Punkten, den Verbindungen. »Flansche und Nieten«, sagt Fred Newhouse, »gibt es jede Menge in einer Raffinerie.« Bis sie nachgeben und die Metallwände zum Einsturz bringen, beschleunigen Tauben, die mit Vorliebe in den Spitzen von Destillationstürmen nisten, den Verfall des Karbonstahls mit ihrem Kot, während Klapperschlangen ihre Nester am Fuß der verwaisten Stahlkonstruktionen bauen und deren Untergang von dort aus betreiben. Wenn Biber Dämme in die Bäche bauen, die in die Galveston Bay münden, werden einige Gebiete überflutet. Houston ist im Allgemeinen zu warm für einen Frost-Tauwetter-Zyklus, doch der Lehmboden im Mündungsdelta schrumpft und quillt im Rhythmus von Trocken- und Regenperioden. Ohne Bauarbeiter, die die Risse beseitigen, dauert es keine hundert Jahre, bis die Gebäude im Stadtzentrum gefährliche Schlagseite bekommen.
Gleichzeitig verschlammt der Houston Ship Channel und findet zu seiner früheren Buffalo-Bayou-Identität zurück. Im Laufe der nächsten tausend Jahre werden er und die anderen toten Arme des Brazos' regelmäßig volllaufen, über die Ufer treten, die Einkaufszentren, Autohandlungen und Highwayauffahrten unterspülen – und auf diese Weise Houstons Skyline Hochhaus um Hochhaus zum Einsturz bringen.
Und der Brazos selbst? 30 Kilometer von Texas City entfernt, an der Küste kurz vor Galveston Island und gleich hinter den Giftwolken, die von Chocolate Bayou aufsteigen, schlängelt sich der Fluss, der eigentlich Brazos de Dios (»Gottes Arme«) heißt, um zwei sumpfige Naturschutzgebiete, legt eine Schlammlast ab, aus der man eine Insel machen könnte, und ergießt sich in den Golf von Mexiko. Seit Jahrtausenden teilt er sich ein Delta und manchmal eine Mündung mit dem Colorado und dem San Bernard. Ihre toten Arme haben sich so vielfältig verflochten, dass sich häufig die Frage, wer zu wem gehört, bestenfalls vorläufig beantworten lässt.
Ein Großteil des umgebenden Landes, das kaum einen Meter über dem Meeresspiegel liegt, ist mit dichtem Schilfdickicht bewachsen, die Schwemmgebiete weisen Altbestände an Eichen, Eschen, Ulmen und einheimischen Pekannussbäumen auf, die vor Jahren nicht dem Zuckerrohranbau geopfert wurden, weil man Schatten für das Vieh brauchte. »Alt« bedeutet hier nur hundert oder zweihundert Jahre, weil die Wurzeln nicht richtig in den lehmigen Boden eindringen können, weshalb sich reife Bäume meist nur so lange halten, bis sie vom nächsten Hurrikan umgerissen werden. Diese dicht mit Wildem Wein und Louisiana-Moos behangenen Wälder werden nur selten von Menschen aufgesucht, weil diese Giftefeu und Schwarznattern ebenso wie die handgroße Goldene Seidenspinne fürchten, die klebrige Netze von der Größe kleiner Trampoline zwischen den Baumstämmen aufspannt. Und es gibt so viele Stechmücken, dass die Vorstellung, ihr Überleben als Art könnte bedroht sein, wenn es den Mikroorganismen endlich gelingt, die Gebirge von alten Reifen abzubauen, absurd erscheint.
Infolgedessen sind diese vernachlässigten Wälder begehrte Lebensräume für Kuckucke, Spechte und Watvögel wie Ibisse, Kanada-Kraniche und Rosalöffler. Baumwollschwanz- und Marschkaninchen locken Schleiereulen und
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