Die Welt ohne uns
vollbringen sehen. Wenn leichte Stoffe wie Ethylen oder Acrylnitril – ein hoch entflammbarer Vorläufer des Acryls, der das menschliche Nervensystem schädigt – unter hohem Druck stehen, entweichen sie häufig durch Rohrleitungen und gelangen in benachbarte Einheiten oder sogar Raffinerien.
Was mit Ölraffinerien und chemischen Anlagen geschähe, falls die Menschen morgen plötzlich verschwänden, sagt E. C, hinge davon ab, ob jemand sich die Mühe machte, vorher noch einige Schalter zu betätigen.
»Nehmen wir an, es bliebe genügend Zeit für eine normale Abschaltung. Die hohen Drücke würden heruntergefahren und die Dampferzeuger abgeschaltet, sodass die Temperatur kein Problem wäre. In den Türmen würden sich die schweren Fraktionen am Boden zu einer zähen Masse verfestigen. Die Kessel haben innen Stahlwände, darüber eine Isolationsschicht aus Schaumstoff oder Glasfasern, und sind außen noch einmal mit Blech ummantelt. Zwischen diesen Schichten verlaufen häufig noch Kühlwasserrohre aus Stahl oder Kupfer. Folglich blieben alle Inhalte dieser Türme stabil – bis unter dem Einfluss enthärteten Wassers die Korrosion einsetzen würde.«
Er fährt fort: »Wenn es keine Brände oder Explosionen gibt, werden die leichten Gase sich in die Luft verflüchtigen. Jedes herumliegende schwefelhaltige Abfallprodukt löst sich irgendwann auf und erzeugt sauren Regen. Abgesehen davon haben Raffinerien große Tanks mit äußerst flüchtigem Wasserstoff. Wenn die Lecks bekommen, fließt der Inhalt aus. Falls nicht ein Blitz ihn vorher in die Luft jagt.«
E. C. verschränkt die Hände hinter seinem krausen Haar und kippt mit seinem Schreibtischstuhl ein wenig nach hinten. »Das würde uns jedenfalls von einer Menge Beton befreien. «
Und wenn keine Zeit bliebe, den Betrieb einzustellen, falls die Menschheit unversehens in eine andere Galaxie entführt würde und alle Anlagen weiterliefen?
»Zunächst schalten sich die Notstromaggregate ein. Sie arbeiten gewöhnlich mit Diesel. Vermutlich halten sie die Lage stabil, bis sie ihren Treibstoff verbraucht haben. Dann steigen die Drücke und Temperaturen. Ohne die Kontrolle von Monitoren und Computern würden einige Prozesse sich völlig verselbstständigen. Erst käme es zu einem Feuer und dann zu einem Dominoeffekt, weil es nichts gäbe, was diese Entwicklung aufhalten könnte. Selbst bei laufenden Notstromaggregaten würden die Sprinkleranlagen nicht funktionieren, weil niemand da wäre, um sie einzuschalten. Einige Überdruckventile würden ausgelöst, doch bei einem Feuer würde ein Überdruckventil den Flammen nur neue Nahrung geben. Alle Rohre würden zu Feuerkanälen. Das Gas wird von einem Bereich zum nächsten geleitet. Normalerweise werden in Notfällen die Schieber geschlossen, aber in diesem Fall würde nichts dergleichen passieren. Das Feuer würde von einer Anlage auf die nächste übergreifen. Diese Brände würden vermutlich wochenlang anhalten und unaufhörlich Schadstoffe in die Atmosphäre jagen. Stellen Sie sich die Menge an Schadstoffen vor, wenn das in jeder Anlage auf der Welt geschieht. Erinnern Sie sich an die Feuer im Irak. Und dann malen Sie sich aus, was passieren würde, wenn sie überall brennen.«
Bei diesen irakischen Feuern ließ Saddam Hussein Hunderte von Bohrlochköpfen sprengen, aber Sabotage ist durchaus nicht immer nötig. Schon die statische Elektrizität von Gasen und Flüssigkeiten, die sich durch Rohre bewegen, kann natürliche Erdgasquellen entzünden, aber auch Ölbrunnen entflammen, in denen mit Stickstoff ein Überdruck erzeugt wird, um mehr Öl nach oben zu treiben. Auf dem großen Flachbildschirm vor E. C. gibt ein blinkender Eintrag in einer Liste an, dass 2002 eine Acrylonitril erzeugende Anlage in Chocolate Bayou, Texas, das US-amerikanische Unternehmen war, das 2002 die größte Menge krebserregender Stoffe in die Umwelt abgegeben hatte.
»Wenn alle Menschen verschwunden sind, brennt das Feuer einer Erdgasquelle, bis das Gasvorkommen erschöpft ist. Gewöhnlich sind die Brandursachen ein Elektrokabel oder eine Pumpe. Die ständen zwar nicht mehr unter Strom, aber es gibt ja immer noch statische Elektrizität oder Gewitter. Eine Quelle brennt an der Erdoberfläche, weil dazu Luft erforderlich ist, aber es gäbe niemanden, der die Flammen zurückdrängen und den Bohrlochkopf abdecken könnte. Die riesige Gasvorkommen am Golf von Mexiko oder in Kuwait könnten ewig brennen. Das wäre bei einer petrochemischen Anlage
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