Die Welt ohne uns
nicht der Fall, weil es dort nicht so viel gibt, was brennen könnte. Aber stellen Sie sich unkontrolliert brennende Industriekomplexe vor, die riesige Wolken von Schadstoffen wie Cyanwasserstoff, also Blausäure, in die Luft blasen. Im Chemiegürtel Texas/Louisiana gäbe es eine massive Luftvergiftung. Denken Sie an die Passatwinde und überlegen Sie sich, was geschieht.«
Alle diese Schwebstoffe in der Atmosphäre, so glaubt er, könnten einen begrenzten chemischen Nuklearwinter hervorrufen. »Bei der Verbrennung von Kunststoffen würden auch Chlorverbindungen wie Dioxine und Furane freigesetzt. Und im Ruß wären Blei, Chrom und Quecksilber. Europa und Nordamerika, in denen es die größten Konzentrationen von Raffinerien und chemischen Anlagen gibt, wären am stärksten kontaminiert. Doch die Wolken würden sich über die ganze Welt verbreiten. Die nächste Generation von Pflanzen und Tieren müsste eine hohe Anpassungsfähigkeit beweisen, um nicht einzugehen.«
Am Nordrand von Texas City, in den langen Nachmittagsschatten einer chemischen Fabrikanlage, liegt eine schmale, 800 Hektar große Fläche mit ursprünglicher Hochgrasprärie. Diese Fläche ist der letzte Rest jener zweieinhalb Millionen Hektar küstennaher Prärie, die es hier gab, bevor das Erdöl kam. Heute beherbergt das Naturschutzgebiet Texas City Prairie Preserve die Hälfte der 40 noch nachweislich existierenden Attwater-Präriehühner – die als die gefährdetste Vogelart Nordamerikas galten, bis 2005 aus Arkansas die umstrittene Sichtung eines einsamen Elfenbeinspechts gemeldet wurde, einer Art, die bis dahin als ausgestorben galt. Während der Balz blasen männliche Attwater-Präriehühner zu beiden Seiten des Halses auffällige, goldfarbene Hautsäcke wie Luftballons auf. Die beeindruckten Weibchen legen daraufhin eine Menge Eier. Doch es ist fraglich, ob diese Kolonie in einer Welt ohne Menschen überleben könnte. Nicht nur die Anlagen der Ölindustrie haben sich auf ihrem Lebensraum ausgebreitet. Einst erstreckte sich die beinahe vollkommen baumlose Prärie hier bis Louisiana, allenfalls hob sich einmal ein grasender Büffel gegen den Horizont ab. Das änderte sich um 1900, als zufällig zwei Ereignisse gleichzeitig eintraten: die Entdeckung des Öls und das Eintreffen des Chinesischen Talgbaums.
Daheim in China überzog diese ursprünglich in kalten Klimazonen beheimatete Baumart ihre Samen zum Schutz gegen die Winterkälte mit so viel Wachs, dass sich die Ernte lohnte. Doch kaum war der Baum als landwirtschaftliche Nutzpflanze in den milden amerikanischen Süden eingeführt worden, erschien ihm diese Vorsorgemaßnahme nicht mehr notwendig. In einem Lehrbuchbeispiel für plötzliche evolutionäre Anpassung hörte er auf, wetterbeständiges Wachs herzustellen, und nutzte seine Energie stattdessen dazu, mehr Samen zu produzieren.
Heute steht überall dort an den Ufern des Houston Ship Channel, wo sich kein Schornstein erhebt, ein Chinesischer Talgbaum. Houstons Sumpfkiefern sind längst verschwunden, verdrängt vom Eindringling aus Asien, dessen rautenförmige Blätter sich in Erinnerung ans kalte Kanton jeden Herbst rot färben und abfallen. Um das Balzgebiet des Präriehuhns zu erhalten, bleibt The Nature Conservancy nichts anderes übrig, als den Talgbaum jährlich vorsichtig abzubrennen, damit er Präriepflanzen wie dem Zwergpalmetto und der Sonnenblume nicht das Licht raubt und sie gänzlich verdrängt. Ohne Menschen, die diese künstliche Wildnis erhalten, dürfte nur ein gelegentlich explodierender alter Öltank der botanischen Invasion aus Asien vorübergehend Einhalt gebieten.
Wenn unmittelbar nach dem Verschwinden von Homo sapiens alle Tanks und Türme des texanischen Ölflecks mit einem gewaltigen Knall explodiert sind, bleiben, nachdem sich der ölige Rauch verzogen hat, geschmolzene Straßen, verbogene Rohre, zerfetzte Ummantelungen und geborstener Beton zurück. Die weißglühende Hitze beschleunigt die Korrosion des Metallschrotts in der salzigen Luft, und die Polymerketten in den Restbeständen an Kohlenwasserstoffen zerfallen in kleinere, leichter verdauliche Moleküle, die sich besser für den biologischen Abbau eignen. Trotz aller ausgeschiedenen Gifte wird der Boden durch den verbrannten Kohlenstoff nährstoffreicher, sodass nach einem regenreichen Jahr Rutenhirse wächst. Ein paar robuste Wildblumen zeigen sich. Allmählich fasst das Leben wieder Fuß.
Wenn jedoch das Vertrauen von Fred Newhouse in die
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