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Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Weisman
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Weißkopfseeadler und in jedem Frühjahr fallen Tausende von zurückkehrenden Singvögeln, unter anderem Scharlach- und Sommertangare in ihren prächtigen Balzkleidern, nach der langen Golfüberquerung in diese Wälder ein.
    Die tiefen Lehmschichten unter ihren Nistbäumen wurden abgelagert, als der Brazos noch regelmäßig über die Ufer trat – bevor ein Dutzend Deiche, Umleitungen und zwei Kanäle sein Wasser nach Galveston und Texas City lenkten. Doch er wird wieder über die Ufer treten. Überlässt man Deiche sich selbst, werden sie schnell abgetragen. Nach hundert Jahren ohne Menschen wird der Brazos sie alle überschwemmen, einen nach dem anderen.
    Vielleicht dauert es noch nicht einmal so lange. Nicht nur der Golf von Mexiko, dessen Wasser noch wärmer als das des Ozeans ist, wird landeinwärts vorrücken, an der gesamten texanischen Küste hat sich vielmehr während der letzten hundert Jahre der Boden gesenkt und dem Wasser damit das Vordringen erleichtert. Wenn unterirdische Öl-, Gas- oder Grundwasservorkommen aus der Tiefe hochgepumpt werden, sackt der Boden in die frei gewordenen Räume ab. Die Senkung beträgt in Teilen von Galveston drei Meter. Eine Nobelsiedlung in Baytown nördlich von Texas City rutschte so tief, dass sie während des Hurrikans Alicia im Jahr 1983 überflutet wurde und heute ein geschütztes Feuchtgebiet ist. Nur an wenigen Stellen erhebt sich die Golfküste mehr als einen Meter über den Meeresspiegel und Teile von Houston liegen sogar darunter.
    Man lasse das Land absinken, den Meeresspiegel steigen und gebe Hurrikane hinzu, die weit stärker sind als Alicia, ein mittlerer Wirbelsturm der Kategorie 3 – und noch bevor die Deiche abgetragen sind, wird der Brazos wieder die Tätigkeit aufnehmen, die er 80000 Jahre lang ausübte: Wie sein Bruder im Osten, der Mississippi, überschwemmt er dann sein ganzes Delta, indem er dort beginnt, wo die Prärie endet. Er überflutet die Riesenstadt, die dem Öl ihre Existenz verdankt, und setzt das ganze Land bis zur Küste unter Wasser, schluckt den San Bernard und verschmilzt mit dem Colorado, sodass sich das Wasser an der Küste über Hunderte von Kilometern ausbreitet. Galveston Island wird sein Fünf-Meter-Deich kaum helfen. Die Ölsilos entlang des Ship Channel verschwinden im Wasser; Brennerrohre, Cracktürme und Fraktionierungskolonnen ragen wie die Wolkenkratzer im Stadtzentrum von Houston aus den brackigen Fluten. Ihre Fundamente verrotten, während sie vergeblich auf den Rückzug des Wassers warten.
    Nachdem der Brazos die Dinge wieder ins Lot gebracht hat, sucht er sich einen neuen Weg ins Meer – einen kürzeren, weil die See näher gerückt ist. Flussaufwärts entsteht neues, höheres Schwemmland und schließlich bilden sich neue Hartholzbestände (vorausgesetzt, die Chinesischen Talgbäume, deren wasserresistente Samen sie zur Kolonisation dieser Landschaft prädestinieren, sind bereit, die Ufergebiete mit ihnen zu teilen). Texas City ist verschwunden; die Kohlenwasserstoffe, die aus seinen überfluteten petrochemischen Anlagen entweichen, werden von den Strömungen davongetragen. Nur einige schwere Rohölreste werden als Kügelchen an die neuen Flussufer gespült, wo sie irgendwann in ferner Zukunft verspeist werden.
    Unter Wasser bieten die oxidierenden Metallteile des chemischen Industriekomplexes den Austern ideale Haftflächen. Schlamm und Austernschalen decken sie langsam zu, um dann selbst begraben zu werden. Nach einigen Millionen Jahren haben sich genügend Schichten angesammelt, um die Schalen zu Kalkstein zusammenzupressen, der hier und da von seltsamen rostigen Streifen durchzogen ist, gesprenkelt mit glitzernden Spuren von Nickel, Molybdän, Niob und Chrom. Jahrmillionen später besitzt jemand vielleicht die Kenntnisse und Geräte, um die Anzeichen von rostfreiem Stahl zu erkennen. Doch nichts ist geblieben, was daraufhindeutet, dass er einst hoch über einer Gegend namens Texas aufragte und Feuer in den Himmel fauchte.

11    Die Wälder
     
    Wenn wir an Zivilisation denken, haben wir gewöhnlich das Bild einer Stadt vor Augen. Kein Wunder: Bauwerke faszinieren uns, seit Türme und Tempel errichtet werden. Als die Architektur himmelwärts strebte und flächendeckend wurde, widerfuhr unserem Planeten etwas völlig Neues. Nur Bienenstöcke oder Ameisenhügel vermochten es, wenn auch in weit bescheidenerem Maßstab, mit der Dichte und Komplexität unserer Städte aufzunehmen. Plötzlich waren wir keine Nomaden

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