Die Welt ohne uns
modernen Gewand hat man ihr einen der höchsten Sicherheitsstandards unter den amerikanischen Raffinerien attestiert, trotzdem ist sie nach wie vor eine Anlage, die aus einer natürlichen Ressource Energie gewinnt, indem sie sie in explosivere Formen überführt. Diese Energie scheint sich kaum bändigen zu lassen durch Valeros summendes Labyrinth von Ventilen, Manometern, Wärmetauschern, Pumpen, Absorbern, Abscheidern, Öfen, Flanschen und Tanks, an denen sich Wendeltreppen und Schlangen roter, gelber, grüner und silberfarbener Rohre emporwinden (die silberfarbenen sind isolierte Rohre, das heißt, ihr Inhalt ist heiß und soll es auch bleiben). Darüber ragen zwanzig Destillationstürme und zwanzig weitere Abgasstutzen auf. Ein Coker, im Prinzip eine Art Löffelbagger, rollt vor und wieder zurück und lässt jeweils eine Ladung asphaltähnlichen Schlamm – die schweren Reste des Rohölspektrums, die am Boden der Destillationstürme zurückblieben – auf eine Förderanlage fallen, die zu einer Katalysator-Crackanlage führt, um dort noch ein Fass Diesel herauszuquetschen.
Über allem leuchten die Fackeln: Flammenkegel vor einem weißlichen Himmel, die diese organischchemischen Prozesse im Gleichgewicht halten, indem sie durch Abbrennen Drücke vermindern, die sich rascher aufbauen, als die Mess- und Regeltechnik reagieren kann. Es gibt sogar Messinstrumente, welche die Wandstärke in den rechtwinkligen Biegungen von Stahlrohren ermitteln – dort, wo die heißen, ätzenden Flüssigkeiten aufprallen –, um drohende Bruchgefahr zu melden. Immer wenn heiße Flüssigkeiten rasch durch Rohrsysteme gepumpt werden, können Spannungsrisse entstehen, besonders wenn es sich bei der Flüssigkeit um Schweröl handelt, das mit Metallen und Schwefel belastet ist, Stoffen, die Gift für Rohrwände sind.
Alle diese Anlagen werden von Computern gesteuert – bis etwas eintritt, was der Computer nicht mehr korrigieren kann. Dann müssen die Fackeln einspringen. Nehmen wir aber einmal an, die Drücke des Systems überträfen auch die Kapazität der Fackeln – oder nehmen wir an, niemand wäre zugegen, der die Überlastung zur Kenntnis nehmen könnte. Normalerweise ist rund um die Uhr Bedienungspersonal anwesend. Doch was wäre, wenn die Menschen plötzlich verschwänden, während die Anlage noch in Betrieb ist?
»Irgendein Behälter würde reißen«, meint Valeros Sprecher Fred Newhouse, ein untersetzter, liebenswürdiger Mann mit ergrauendem Haar. »Und vermutlich würde ein Feuer ausbrechen.« Doch dann, so fügt Newhouse hinzu, würden vor und hinter der Unfallstelle automatisch Sicherheitsventile ausgelöst werden. »Wir messen ständig Druck, Durchsatz und Temperatur. Bei jeder Störung würde das Problem sofort isoliert, sodass das Feuer nicht von der betroffenen Einheit auf die nächste übergreifen könnte.«
Aber was wäre, wenn niemand mehr da wäre, um die Flammen zu bekämpfen? Und was wäre, wenn die Stromversorgung zusammenbräche, weil niemand mehr zur Bedienung der Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke da wäre und weil auch die Wasserkraftwerke von Kalifornien bis Tennessee ausfielen, die alle ihre Elektronen in das Houstoner Netz einspeisen, damit die Lichter in Texas City nicht ausgehen? Und was wäre, wenn die automatischen Notstromaggregate kein Dieselöl mehr hätten, sodass kein Signal die Absperrapparatur auslösen könnte?
Newhouse tritt in den Schatten eines Crackturms, um sich die Antwort zu überlegen. Der Gedanke, dass diese ganze unabsehbare Infrastruktur außer Kontrolle geraten und sich selbst entzünden könnte, lässt ihn aufstöhnen.
»Okay, alles würde brennen, bis der gesamte Kohlenwasserstoff im System verbraucht wäre. Aber«, so stellt er mit Nachdruck fest, »es wäre höchst unwahrscheinlich, dass das Feuer über das Betriebsgelände hinausgreifen würde. In den Rohren, die die Raffinerien von Texas City verbinden, befinden sich Rückschlagventile, um die einen von den anderen zu isolieren. Also selbst wenn Anlagen explodieren, werden angrenzende Einheiten nicht in Mitleidenschaft gezogen. Auch bei einem Großfeuer sorgen Sicherheitssysteme für die Eindämmung.«
E. C. ist sich da nicht ganz so sicher. »Selbst bei normalem Betrieb«, sagt er, »ist eine petrochemische Anlage eine tickende Zeitbombe.« Als Kontrolleur chemischer Anlagen und Raffinerien hat er die flüchtigen leichten Erdölfraktionen auf dem Weg zur Umwandlung in sekundäre Petrochemikalien erstaunliche Dinge
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