Die Weltenspieler - Insignia I: Roman (German Edition)
mit dem er jederzeit Videogames spielen könnte. Vielleicht wäre sie sogar jemand, den er abends mal mit ins Planetarium nehmen könnte – falls er sich traute.
Vik kehrte mit einem blauen Auge zurück, weigerte sich aber, darüber zu reden. Daher erfand Tom immer abstrusere Geschichten, wie es dazu gekommen war, bis Vik sich an das Neuronalkabel anschloss, um seine Ruhe zu haben. Grinsend klinkte sich auch Tom für die Nacht ein und nickte wenig später ein.
Früh am nächsten Morgen riskierte er einen Streifzug durch die frische Morgendämmerung zur U-Bahn. Pentagon City hatte noch nicht geöffnet, deswegen besuchte er eine andere VR -Halle in Arlington. Er hatte eine Stunde Zeit, sich mit Medusa zu treffen, bevor sie sich ausloggen musste.
»Willst du mal etwas Bescheuertes wissen?«, fragte er sie.
Heute kämpften sie wieder als Siegfried und Brunhilde gegeneinander. Tom hatte diese Simulation allein sehr oft gespielt und sich eine neue Strategie ausgedacht, wie er sie darin ins Jenseits befördern konnte. Unglücklicherweise hatte Medusa heimlich ein Add-on hereingeschmuggelt, das sie zu ihrem vollen taktischen Vorteil ausnutzte: Immer wenn sie beide auf bestimmte Ziegelsteine traten, schossen Flammen um sie herum hinauf.
Sie umkreiste ihn, wobei ihr Schwert in der brennenden Kammer glänzte. »Was denn?«
Tom konzentrierte sich lieber auf das Schwert als auf das Gesicht ihres Avatars. »Wir haben da so einen Ort bei uns im Turm, wo sich die Leute manchmal die Sterne anschauen. Das ist so etwas, wo sich Mädchen und Jungen treffen. Ich hatte da so einen schrägen Gedanken … Ich wünschte, du würdest bei uns im Turm leben, dann hätte ich dich mit hochnehmen können.«
Er warf Medusa einen raschen Blick zu. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden.
»Bescheuert, oder?«, sagte Tom und lachte gezwungen.
Sie erwiderte nichts. Tom hackte mit seiner Axt auf sie ein und hoffte, sie werde seine Worte vergessen. Medusa parierte seine Schläge und schlitzte ihm dann mit einem kräftigen Hieb den Bauch auf. Anschließend kickte sie seine Leiche auf einen der mit Feuerfallen versehenen Ziegelsteine und ließ sie verbrennen.
Erst als sie mit einem Becken zurückkehrte und Wasser auf seinen brennenden Körper goss, sagte Medusa wieder etwas. »Im richtigen Leben würdest du mich nicht mögen. Ich wette, du stehst auf hübsche Mädchen.«
»Mädchen sagen immer, sie wären nicht hübsch, obwohl sie es in Wirklichkeit sind. Bei dir ist es bestimmt auch so.« Tom wusste es einfach.
Medusa betrachtete ihn eine ganze Weile nachdenklich. Und dann tat sie etwas Unerwartetes: Sie beugte sich zu ihm herunter und drückte ihm einen rauen Kuss auf die Lippen.
Tom hatte sich nicht mit seinem Neuronalprozessor eingeklinkt. Deshalb nahm er den Sinneseindruck nicht wahr. Es geschah nur in der virtuellen Realität – ein von seiner Datenbrille hergestelltes Trugbild von Brunhildes wunderschönem Gesicht, nur wenige Zentimeter vor dem seinen. Die Augen hatte sie geschlossen und ihre Lippen dorthin gedrückt, wo die seinen gewesen wären. Seine Datenhandschuhe vibrierten von der Berührung, als er seine Handflächen dorthin drückte, wo sich ihre virtuellen Arme befanden. Noch als Medusa sich allmählich zurückzog, klammerte er sich an ihren Avatar und spürte, wie ihn am ganzen Körper ein Schauer überlief, so als hätte er gerade tatsächlich ein Mädchen zum ersten Mal geküsst.
»Nicht so eilig.« Er zog sie wieder an sich und drückte seine virtuellen Lippen auf die ihren, um den Kuss zu erwidern.
Medusa lachte und entwand sich seinem Griff. »Hey, ich bin hier eingeklinkt. Deine Zähne sind gerade auf meine gestoßen.«
»Entschuldigung.« Dass er sich in einer öffentlichen VR -Halle befand und die Leute womöglich durch den hauchdünnen Vorhang, der ihn verbarg, sehen konnten, dass er jemanden küsste, scherte ihn nicht. Blitze durchfuhren ihn am ganzen Körper. »Bedeutet das jetzt, wir sind zusammen?«
»Wir kennen nicht einmal die Namen voneinander.«
»Schon, aber wir haben uns jetzt schon so oft getötet, dass ich finde, das ist schon etwas. Und, äh …« Tom holte erst tief Luft und ließ es dann wagemutig darauf ankommen. »Möchtest du wissen, wie ich aussehe?«
Medusa starrte ihn durch die glänzenden blauen Augen von Brunhilde an.
»Wir können es beide tun. Geben wir die Avatare einfach auf.« Er brachte die Worte nur mit Mühe hervor, denn so etwas tat er nie, wenn es nicht unbedingt
Weitere Kostenlose Bücher