Die Weltenspieler - Insignia I: Roman (German Edition)
viel schmackhafter. Er sah, dass Vik einem Schwerthieb auswich, und erspähte Beamer, der in der Ecke gerade zum dritten Mal durchbohrt wurde. Yuri machte einen Satz nach vorn, um Beamer zu rächen, und stürzte sich heldenhaft, in jeder Hand ein Schwert schwingend, in den Kampf mit zwei Rônin auf einmal. Dann trat er furchtlos zwischen Wyatt und einen Rônin, der diese gerade bedrängte, und nahm es nun mit drei Rônin gleichzeitig auf.
»Yuri, hör mit der Prahlerei auf!«, blaffte Wyatt ihn an, schob ihn beiseite und nahm es wieder selbst mit dem Rônin auf.
Schließlich verblassten die Rônin, und auch die nasskalten Burgmauern lösten sich auf. Tom stand nun mitten in der Arena und rang verzweifelt nach Luft, ein schweres Eisengewicht mit der Hand umklammernd. Yuri hielt je ein Gewicht in beiden Händen und setzte diese nun klimpernd auf dem Boden ab. Er erweckte nicht den Eindruck, überhaupt ins Schwitzen geraten zu sein.
Vik, dem die Uniformjacke am Körper klebte, wandte sich Tom zu. »Und, was hältst du davon?«
Atemlos brachte Tom hervor: »Besser als … Runden … laufen.«
Im Umkleideraum fing Tom vor Erschöpfung am ganzen Körper zu zittern an, während er unter dem heißen Strahl der Dusche stand und um ihn herum Dampf aufstieg. Die Bilder von wütenden Schotten, angreifenden Rônin und tobenden englischen Soldaten machten ihn schwindelig. Er musste sich klarmachen, dass dies kein Traum und keine Halluzination, sondern jetzt seine Realität war. Er strich sich mit den Händen über das stoppelige Haar und über das Gesicht …
Tom erstarrte – seine Haut war ganz glatt.
Er tastete mit dem Finger über die Wangenknochen, die Stirn, das Kinn. Keine einzige Unebenheit. Es fühlte sich so an, als ob …
Er riss sein Handtuch von der Duschvorhangstange herunter, schlang es sich um den Körper und hastete zu den Spiegeln außerhalb der Duschkabinen. Mit dem Handteller wischte er über den beschlagenen Spiegel und sah zum ersten Mal, seit er zehn Jahre alt gewesen war, sein Gesicht an, ohne darin von Akne entstellte Haut zu erblicken.
Während Tom sein Gesicht anstarrte, überflutete ihn ein seltsames Gefühl. Das hier war er. Dieser Typ war gar nicht mal so hässlich. Na schön, er sah nicht gerade wie Elliot Ramirez aus, aber dieser Kerl hier konnte in eine Highschool marschieren, in eine echte Schule in einem richtigen Gebäude, ohne dass die Leute mit dem Finger auf ihn zeigen und ihn auslachen würden.
Tom hatte sich schon damit abgefunden, dass er immer ein hässlicher Junge bleiben würde. Er wusste, dass sein Gesicht, selbst wenn die Akne zurückging, so vernarbt sein würde, dass es kaum einen Unterschied machte. Aber jetzt sah er wie ein ganz normaler Typ aus. Ein normaler Teenager, umgeben von anderen normalen Teenagern, mit Möglichkeiten und einer Zukunft. Er besaß sogar ein Profil, das ihn als Landesmeister im Buchstabierwettbewerb ausgab, nicht als obdachlosen Verlierertypen, der es nicht einmal auf einer Sonderschule schaffte. Sein Gehirn schmerzte, aber auf eine angenehme Art. Er war von dem Gefühl erfüllt, zum ersten Mal in seinem Leben ein richtiger Mensch zu sein.
»Spieglein, Spieglein, an der Wand«, unkte Vik, der plötzlich hinter Tom auftauchte.
Tom trat zurück.
»Was geht ab, Mann?« Der Blick von Viks dunklen Augen wanderte zum Spiegel. »Du starrst dich jetzt seit ungefähr zwanzig Sekunden an. Also, wenn du aussähst wie ich, dann könnte ich verstehen, dass du angesichts deiner Schönheit in Ehrfurcht erstarren würdest.«
»Ich habe über etwas nachgedacht. Mir war nicht klar, dass sie bei der Operation Veränderungen an einem vornehmen. Körperlich, meine ich.«
»Ach so, du meinst, dass man keinen Bartwuchs mehr hat?« Vik rieb sich über sein glattes Kinn.
Tom nickte, als wäre es das gewesen, was er meinte.
»Ja, das geht einem auf die Nerven, aber der Prozessor stellt alles ein, was er für unwesentlich erachtet, zum Beispiel den Haarwuchs in deinem Gesicht, wenn du dich für das Militär ja doch glatt rasieren musst. Ich hatte da so eine fantastische Narbe über der Augenbraue, die nach meiner OP total verheilt ist. Echt zu blöde. Ich habe damit voll tough ausgesehen.«
»Das kann ich nicht glauben.«
»Doch, echt jetzt, ich hatte wirklich eine Narbe.« Vik deutete auf seine Braue.
»Ja, das glaube ich dir. Ich kann mir bloß nicht vorstellen, dass du jemals tough ausgesehen hast.«
Er wich Viks Handtuch aus, bevor dieser ihn damit erwischen
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