Die Weltenspieler - Insignia I: Roman (German Edition)
Sinnestäuschung.
Als er einen schrillen Schrei vernahm, vergaß er es wieder. Gerade als Tom sich umdrehte, sah er, dass Beamer zurückgefallen und den schottischen Kriegern in die Hände gefallen war. Einer der Schotten stieß ihm sein Schwert in den Bauch.
»Aaah!«, schrie Beamer, während er sich auf dem Boden wälzte. »Dieser Schmerz. Dieser furchtbare Schmerz!«
»O Gott, nein, Beamer!«, rief Vik gequält. Er packte Tom am Kragen. »Um Gottes willen, lauf schneller. Lauf schneller, oder dir blüht das gleiche Schicksal!«
Toms lässige Zuversicht, das hier sei gar nicht gefährlich, verflüchtigte sich augenblicklich, und Angst erfasste ihn. Vik war in Panik geraten, Beamer hatte geschrien, als würde er wirklich umgebracht werden. Stimmte mit der Simulation etwas nicht? Das hier war doch wohl keine echte Schlacht, in der Menschen getötet wurden, oder?
Er war völlig außer Atem, als er vor einer massiven Felswand zum Stehen kam. In diesem Augenblick verwandelte sich die Landschaft um ihn, und nun sah er Beamer wieder, der unten an der Felswand stand und sich vor Lachen krümmte.
»Hast du das Gesicht des Neuen gesehen?«, krähte Beamer.
Brüllend vor Lachen schlug Vik Tom auf die Schulter. »Armer Tom. Hast wirklich geglaubt, er würde ausgeweidet, hä? Nee, Beamer hat sich bloß aus der Trainingseinheit ausgeklinkt und sich von ihnen töten lassen. Ist eben ein fauler Sack.«
Beamer nickte stolz.
Yuri hatte die Leitern Leitern sein gelassen und sich dazu entschieden, die Felswand eigenhändig zu erklimmen. Er befand sich bereits auf halbem Weg nach oben, legte nun jedoch eine Pause ein, schaute zu den anderen hinab und schüttelte den Kopf. »Das war kein netter Streich, den ihr Tim da gespielt habt.«
Nun begriff Tom es: In Wirklichkeit war das Schlachtfeld lediglich eine Sinnestäuschung. Bei einer Sinnestäuschung konnte man nicht wirklich etwas empfinden. Beamer hatte seinen qualvollen Tod nur vorgetäuscht, und Vik hatte mitgespielt.
»Du bist echt ein Witzbold«, sagte Tom zu ihm.
Vik kletterte an der Wand hoch. »Das ist jetzt die zweite Phase, Intervalltraining. Wirst du wieder draufgehen, Beamer?«
»Auf keinen Fall klettere ich das Ding da hoch«, murrte Beamer, während er die hoch aufragende Felswand begutachtete.
»Dann sehen wir uns im nächsten Leben – oder besser gesagt beim Krafttraining. Komm, Tom.«
Tom folgte Vik die Leitern hinauf und ließ Beamer mit den wütenden Schotten zurück. In der richtigen Welt war das wahrscheinlich eine der Kletterwände, die er gesehen hatte. In der Simulation ähnelte sie der Mauer einer Burg. Tom kletterte die Sprossen der Leiter hinauf und trainierte dadurch eine andere Muskelpartie. Er stellte fest, dass er sich Sprosse für Sprosse auf mittelalterliche englische Soldaten zubewegte, die sie alle als »niederträchtige, barbarische Eindringlinge« verfluchten.
Als sie den First der Mauer erreicht hatten, präsentierte sich ihnen eine weitere Mauer. Hinter sich vernahm Tom Schlachtrufe. Als er sich umschaute, sah er, dass die gewaltige Armee wütender Schotten ebenfalls die Mauern erklomm und nach wie vor Jagd auf sie machte. Beamer wurde erneut aufgespießt, beziehungsweise ließ sich ein zweites Mal aufspießen. Dieses Mal starb er nicht theatralisch qualvoll, sondern fiel zu Boden und winkte träge zu Tom und Vik hinauf.
Sie wurden Leitern hinauf- und hinabgejagt, bis Tom nach Atem rang – die Schotten setzten ihnen immer noch unerbittlich nach. Dann stieß Tom in einer von allen Seiten ummauerten Rüstkammer auf den Rest der Rekruten. Er folgte ihnen, riss ein Schwert von der Wand und hätte es fast sofort wieder fallen lassen. Es war unerwartet schwer.
»Wie kann man denn damit kämpfen?«, fragte Tom Vik, während er die Waffe mit beiden Händen anhob.
»Man kämpft nicht wirklich damit. Man hebt es. Darum geht es in Phase drei: Krafttraining.«
Schreie durchdrangen die Luft. Tom wappnete sich vor dem, was als Nächstes passieren würde.
Japanische Rônin stürmten in den Raum.
Tom fing an zu lachen. Es ergab keinerlei Sinn, dass japanische Rônin in eine mittelalterliche englische Burg eindrangen, die von Schotten belagert wurde – aber es war schon toll. Er stürzte sich mit dem schweren Schwert in den Kampf. Dabei ignorierte er die Tatsache, dass die Bewegungen, mit denen er die Hiebe der Rônin abwehrte, immer mehr dem Stemmen von Gewichten in einem Kraftraum ähnelte – die Illusion des Kampfes machte die Sache nur
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